Reiseberichte

August 2012

1.Rezept

Zutaten:
einen Schweizer mit einem Lebenstraum
eine Schweizerin
eine Deutsche
einen Deutschen
30 Jahre Altersspanne der Teilnehmer
2 Jahre Vorbereitungszeit
25 Impfungen
ca. 88 Stunden Herumärgern für die Visas
16 Reiseführer
13 Kennlern- und Vorbereitungstreffen
347 geschriebene Mails
18 schlaflose Nächte vor der Abreise
7 Koffer
4 Rucksäcke
2 Rollstühle
1 Satz Ersatzreifen
1 Wurfzelt
14 Paar Schuhe
48 Unterhosen
und füge alles vorsichtig zusammen
Man nehme ausserdem:
4 Tonnen Spass am Reisen
8 Liter Abenteuerlust
einen Haufen Geld
4 Teelöffel Abschiedsschmerz
ein paar Spritzer Angst
und hebe es unter das Gemisch
und fertig ist
der Teig für unser Amerika-Rolli-WoMo-Abenteuer
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2. Sichtwechsel – Eine nervenaufreibende Geschichte
Ich bin erst zwei Jahre alt und habe schon die Welt gesehen. Ganz viele Grenzen habe ich überwunden und wurde dort mit schönen Aufklebern und Stempeln geschmückt. Erwartungsvoll bin ich den langen Weg nach Frankfurt gefahren um dort einen weiteren schönen Sticker mit `nem steinernen Mann auf meine zarten Seiten geklebt zu bekommen. Aber daraus wurde erstmal nichts. Im Konsulat der USA wurde ich unsanft durchblättert und auf den Schalter geknallt. Die ersten zwei Menschen, die mich und den ganzen Zettelkram mit den 115 beantworten Fragen begutachteten, waren noch recht nett. Schliesslich wurden ja auch alle Fragen wahrheitsgemäss beantwortet. So zum Beispiel auch die Frage ob meine Besitzerin in die USA kommen möchte um als Prostituierte zu arbeiten oder einer unrechtmässigen Beschäftigung nachkommen will. Haben Sie jemals Geldwäsche betrieben oder haben sie vor es in den USA zu tun? war eine weitere Frage. Ausserdem sollte meine Besitzerin angeben ob sie Ehegatte oder Tochter eines Menschen ist, der Menschenhandel betreibt. Jetzt mal im Ernst: Glaube die dort drüben auf der anderen Seite vom grossen Teich wirklich, dass zum Beispiel ein Geldwäscher angeben würde: Ja, ich komme in die USA um Schwarzgeld zu waschen. Als Nebenverdient betreibe ich übrigens auch Menschen- und Waffenhandel. Bitte geben Sie mir ein Jahresvisum, damit ich genügend Zeit für alle diese Dinge habe?
Von meinen drei Freunden habe ich gehört, dass es nicht so einfach werden würde, einen von diesen schönen Aufklebern zu bekommen, mit dem ich ein Jahr in den USA bleiben dürfe. Einem von Ihnen würde sogar dieser Sticker verwehrt. Der dritte stocksteife Mann am Schalter, dessen Gesicht so ausdruckslos, wie nach der zehnten Botoxbehandlung aussah, fragte meine Besitzerin ungläubig, warum sie denn mit einem behinderten Menschen verreisen würde, ohne dafür ein anständigen monetären Lohn zu bekommen. Er brabbelte etwas von Arbeitsvertrag, blubberte dass er meiner Schweizer Freundin nun auch den schönen Aufkleber brutal herausreissen will, kritzelte etwas auf ein Formular und schob mich zusammen mit dem nach bürokratischer Chlorbeiche stinkendem Papier durch den schalen Schlitz im Panzergas zurück zu meiner Besitzerin. Noch während meine Besitzerin zu ihm sprach, stand der Botoxgesichtmann ruckartig auf und stolzierte davon. Ich wusste überhaupt nicht wie mir geschah und ob ich nun überhaupt noch eine Chance auf den ersehnten Sticker haben würde. Ich hatte Angst. Würde ich nun überhaupt zusammen mit meinen drei Freunden, die schon so lange geplante Reise antreten können? Welche Schmerzen und Qualen standen meiner Schweizer Freundin bevor? Und wie sollte es nun weiter gehen? Ich wartete am Schalter auf die Rückkehr des Mannes mit dem Stock im Arsch. Nach einigen Minuten stolzierte der zurück. Nun wird der mir bestimmt erklären, woran ich war und was die nächsten Schritte in meinem unermüdlichen Kampf um die Aufkleber sein werden, dachte ich mir hoffnungsvoll. Doch er kehrte nur zurück um mir einen bösen Blick zuzuwerfen und seine Lampe mit der Anzeige, dass der Schalter belegt ist zu löschen, um schliesslich den nächsten hilflosen Reisepass an einem anderen Schalter zu ärgern. So eine dreiste Unfreundlichkeit habe ich noch nie erlebt. Da konnte ich nur ungläubig mit den Seiten schlackern. Nachdem ich mich erneut an der Endlosschlange vor der Information angestellt hatte, versuchte die erstaunlich hilfsbereite Frau die Schrift des Stickerräubers zu entziffern. Ich sollte einen Arbeitsvertrag nachreichen und ohne diesen Vertrag hätte ich keine Chance im Stickerkampf. Ich informierte sofort meine Freunde und warnte sie vor dem Aufkleberdieb. Doch der hatte unsere Schweizer Freundin bereits vorgeladen, sie habe innerhalb von zwei Arbeitstagen mit ihrer Besitzerin in Frankfurt anzutanzen und wenn sie nichterschiene, würde ihr Aufkleber ungültig sein. Die ganze Reise stand auf dem Spiel. Es waren für mich unerträgliche vier Tage der Ungewissheit. Meine Besitzerin verfasste in der Zwischenzeit einen Arbeitsvertrag. Mit grossen Schwierigkeiten gelang es der Besitzer meiner schweizer Freundin sich für Montag von der Arbeit befreien zulassen und mit meiner Freundin nach Frankfurt zu düsen. Zum Glück waren sie vorgewarnt.
Am fünften Tag kam die Erlösung per E-Mail. Meine schweizer Freundin durfte ihren Aufkleber behalten und meine Besitzerin erhielt eine Mail, dass sie mich in einen dunklen Umschlag packen sollte, der mich nach Frankfurt tragen würde. Von einem Arbeitsvertrag wollten sie nun nichts mehr wissen. Meine Freundin hat wohl dank ihrer sehr schlauen Besitzerin unsere Aufkleber gerettet und auch unser deutsche Freund bekam nun endlich den schönen Aufkleber auf dem der Mann aus Stein abgebildet war. Warum musste es uns so schwer gemacht werden? Unsere Besitzer wollten doch nur die schönen USA bereisen und durch die vielen Ausgaben, die bei einer solchen Reise notwendig sind, die Wirtschaft der USA ankurbeln. Aber das haben die dort wohl nicht nötig und ärgern stattdessen lieber unschuldiger Reisepasse, die nichts weiter als einen bunten Aufkleber machten.
Hoffentlich erlebe ich noch viele spannende Abenteuer mit meinen Freunden, den Reisepässen von Beatrix, Marcel und Rene und mir müssen nicht nochmal etwas derart nervenaufreibendes erleben wie mit dem USA Konsulat in Frankfurt, bevor wir in einigen Jahren ablaufen.
3. Auf geht‘s!
Es ist wirklich kaum zu glauben, aber nun sitzen wir vier tatsachlich mit ausgetrockneten, kalten Nasen (Danke Klimaanlage!) im Flieger von Zürich nach New York. Nachdem wir schon fast den Security-Pre-Check durchlaufen haben, fiel der Dame im schwarz-rotem Kostüm auf, dass wir den Flug gar nicht mit dieser Fluggesellschaft gebucht hatten. Also sind wir mit unseren sieben Koffern, dem Ersatzrollstuhl, dem dritten Satz Rollstuhlreifen, dem Wurfzelt und weiteren drei Teilen Handgepäck, dann halt zum für uns richtigen Check-In-Schalter gegangen, der sich im benachbarten Gebäude befand. Die verwirrte Frau hinter dem Tresen, verstand es ausserordentlich gut Reisende zu verunsichern. Erst hiess es wir haben zu viele Koffer und sollten übergepäck bezahlen. Nach dem wir etwas auf sie eingeredet haben verschwand sie für einige Minuten, dann kehrte sie wortlos zurück und tippte mit dem Adler-Such-System etwas in ihrem Computer. Dann galt ihr Interesse Marcels Rollstuhl mit elektrischer Schiebehilfe. Wieder verschwand sie und kam erneut mit einem Fragezeichen im Gesicht zurück. Die Frau versuchte die Art der Rollstuhlbatterie zu ermitteln. Nach einigen Fragen verschwand sie erneut. Dann wollte sie noch den zweiten Rollstuhl und Zubehör nicht kostenfrei dazu buchen, was laut meiner Erfahrungen weltweit selbstverständlich ist. Sie tippelte erneut zur ihren Kollegen. Diesmal hatte sie wohl einen Geistesblitz im Schneckentempo ereilte, denn als sie zurück kehrte, war alles kein Problem mehr. Warum nicht gleich so? Nachdem wir nun etwa 20 Minuten den Gepäck-Schalter der netten Damen mit dem Dauerfragezeichen im Gesicht blockiert hatten, konnten wir endlich die lange Reise von Securitycheck zum Gate E19 im Terminal 2 antreten. Unser Guide war ein freundlicher Mann, der speziell für die Unterstützung von Menschen mit Handicap am Flughafen zuständig war. Er führte uns über lange Gänge, vorbei an Duty-Free-Shops mit Tobleroneverkostung, in viele Aufzüge und auch in einen Zug, in dem man sogar die Glocken und das Muhen schweizer Kühe hören konnte. Als wir endlich am Gate ankamen mussten wir sofort ins Flugzeug. Menschen mit Handicap durften zu erst einsteigen und verlassen dafür das Flugzeug zum Schuss. Marcel wurde mit Hilfe eines schmalen Wagens und zwei starken Männern zu seinem Platz gebracht.
Und nun fliegen wir tatsächlich unserem Traum mit Tomatensaft, Flugzeugfrau und gequetschten Knien entgegen.
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Unser
Supertolles
Abenteuer
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Tja, nun sind wir schon über zehn Tage in den USA und haben noch keine einzige Nacht im Wohnmobil verbracht. Es gibt einfach noch so viel zu bedenken, zu erledigen und zu organisieren, bevor wir wirklich aufbrechen können. Als wir in New Jersey bei Marcels Onkel Kurt, seiner Tante Helen und seinem Cousin Mario ankamen, war das Wohnmobil noch in einer Werkstatt. Wir konnten es kaum abwarten, unser fahrendes Heim für das kommende Jahr endlich zu sehen. Am nächsten Abend war es dann soweit. Rene, Marcel und Kurt holten das gute Stück aus der Werkstatt ab und präsentierten uns das riesige Gefährt. Trotz strömendem Regen konnten wir, aufgeregt wie kleine Kinder am Heiligabend, nicht abwarten es zu begutachten. Im ersten Moment wirkte es riesig für ein Auto, aber wenn man bedenkt, dass diese Einzimmerwohnung das Zuhause für vier Personen sein sollte, wird einem die Anpassungsleistung, die wir nun alle erbringen müssen, bewusst. Schnell wurde uns klar, dass das gerade frisch umgebaute Bett nicht sehr gut für die Pflege von Marcel geeignet war. Wir schmiedeten verschiedene Pläne. Es gab keine andere Möglichkeit, die grosse Duschkabine musste weichen und ausserdem eine Wand verkürzt werden. Zum Glück gibt es da Kurt (ohne Helm und ohne Gurt einfach Kurt), Marcels toller Onkel, der diese ganzen Umbauten wunderschön gemeistert hat. Marcel wird nun mit dem Kopf in der früheren Dusche schlafen, so haben wir genug Platz für die Pflege. Nun kann Marcel jeden Abend frei nach Farin Urlaub (von den Ärzten) singen: Ich schlafe in der Dusche, weil die Dusche zu mir hält. Nun haben wir auch ein richtiges elektrisches Hospitalbett in der Dusche, was die Pflege sehr erleichtert und unsere Rücken schont. Die Zeit, in der wir auf das Bett warteten und Kurt handwerkelte konnten wir gut nutzen. Wir überarbeiteten unsere Reiseplanung, gingen mehrmals einkaufen, regelten alle Bankangelegenheiten in den USA, buchten die Verschiffung des Wohnmobiles und eine Kreuzfahrt, die wir in der Zeit, in der das Wohnmobil verschifft wird, machen möchten.
Ausserdem haben wir zwei Tagesausflüge nach New York gemacht. Einmal sind wir direkt nach Manhattan gefahren. Es war einfach unglaublich, diese Häuserschluchten zu sehen. Ich kam wir ganz winzig klein vor, wie eine Ameise in einem Wald von riesigen Grashalmen und gigantischen Blumen. Um Ground Zero (eine Gedenkstätte an der Stelle wo einmal die Zwillingstürme des World-Trade-Centers standen) zu besichtigen, mussten wir uns erst die unentgeltlichen Eintrittskarten abholen. Unsere Eintrittszeit war allerdings erst um 18:30 Uhr. Da es erst kurz nach 16 Uhr war und wir noch kein Mittag gegessen hatten, kauften wir Pizza, die wir auf dem Friedhof der St. Pauls Kapelle verspeisen wollten. Ich muss schon zugeben, dass dies ein eher ungewöhnlicher Ort für ein Picknick ist. Da sich die Pizzeria im ersten Stock ohne Fahrstuhl befand und wir einen Bärenhunger hatten, erschien uns dieser Friedhof als das nächstbeste Plätzchen für unseren Lunch. Wir hatten gerade ein paar Bissen genommen und schon wurden wir vom Friedhof geschmissen, da er um 17 Uhr schliesst. Ich denke, es ist ein positives Zeichen von einem Friedhof zu fliegen. Wenn uns der Security als einzige auf dem Friedhof sitzen gelassen hätte, dann hätten wir uns glaub ich ernsthaft Gedanken machen müssen. Also haben wir die Pizza wieder eingepackt und uns auf grosse Blumenkübel an der nächsten Häuserecke gesetzt und die leckere Pizza verspeist. Um Ground-Zero zu betreten, mussten wir mal wieder, wie so oft in den USA, einen Security-Check über uns ergehen lassen. Das bedeutet, alle Taschen, Jacken, Gürtel usw. in eine Box legen und durchleuchten lassen und anschliessend durch einen Metalldetektor gehen, der jedes Mal, oh grosses Wunder, bei dem Rollstuhl wie wild zu piepsen beginnt. An der Stelle, wo vor dem Anschlag vom 11. September 2001 noch die Twin-Towers standen, markieren nun zwei Wasserflle, die kaskadenartig die Formen der verlorenen Türme nachstellen. Am Rand der Fälle sind die Namen der vielen Opfer eingraviert. Das war schon sehr ergreifend. Anschliessend sind wir noch etwas durch die City geschlendert und mit dem Bus zum Broadway gefahren. Besonders bei Nacht erstrahlen die buntflackenden Werbeleinwände, die fast jeden Wolkenkratzer hier schmücken, in vollem Glanz. Wir hatten sehr viel Spass und lachten unglaublich viel. Besonders eine Anekdote, die sich ein paar Tage zuvor ereignet hatte, trieb uns immer wieder Lachtränen in die Augen. An einem unserer ersten Abende bei Kurt und Helen hatten wir gegrillt und Kurt hatte das Wort Rolli als Abkürzung für Rollstuhl verwendet. Helen entgegnete empört: Aber Kurt, er heisst doch nicht Rolli, das ist doch Rene! Wir führten uns immer wieder diese Situation vor Augen und hinzu kam noch die Müdigkeit, die diese gewaltige Stadt und der schon fortgeschrittene Abend über uns brachten. Dieses Gemisch von Gemütszuständen entfachte die Albernheiten in uns und wir kicherten fast den ganzen Abend.
Als wir einige Tage spöter erneut in die City fuhren, nahmen wir die Fähre nach Ellis-Island, wo früher alle Auswanderer aus Europa nach Wochen auf See eintrafen. Heute ist dort ein Museum zu bewundern, das wir allerdings aus Zeitgründen ausliessen. Von Ellis- ging es mit dem Boot nach Liberty-Island. Auf Liberty-Island, der Heimat von Lady Liberty, verliessen wir den Kahn und bestaunten die imposante Freiheitsstatur von New York. Nachdem wir sie umrundet hatten, nahmen wir ein weiteres Schiff Richtung Battery Park. Eigentlich wollten wir noch zum Central Park, aber das heben wir uns für nächstes Jahr auf. Das letzte Boot zurück zum Parkplatz, wo das Wohnmobil stand, haben wir ganz knapp verpasst. Deshalb fahren wir mit der Path (der New Yorker U-Bahn) und einem weiteren Zug zurück zum Parkplatz. Müde und voll von vielen atemberaubenden Eindrücken kehrten wir wieder zurück zu Helen und Kurt. Es ist schon toll die Stadt, in der so viele Filme gedreht werden nun live gesehen zu haben. Auch wir haben den grossen Apfel (Big Apple) probiert und er hat uns allen sehr gut geschmeckt.
Nun sind wir schon viel, viel länger als erwartet bei Kurt und Helen und haben mittlerweile das halbe Haus mit unserem ganzen Krempel in Beschlag genommen. Die Beiden können es bestimmt kaum abwarten, dass wir uns bald mit unseren ganzen Kram auf den Weg machen. Wir machen schon immer Witze darüber welchen Raum des Hauses wir wohl als nächstes zumüllen. Solange ihr nicht auch noch unser Schlafzimmer in Beschlag nehmt, ist alles in Ordnung, erwiderte Kurt einmal unserem Lachen. Es ist wirklich unglaublich wie wir hier aufgenommen wurden und was Kurt und Helen und auch ihr Sohn Mario alles für uns getan haben. Sie haben uns den Start unseres Abenteuers enorm erleichtert und versüsst. Sogar die echte Schweizer Kuhglocke durfte nicht fehlen, die Kurt an einem kleinen Tisch vor Marcels Bett befestigt hat, damit er nachts klingeln kann, falls er etwas braucht.
Unser Team ist mittlerweile richtig zusammen gewachsen, wir ergänzen uns sehr gut. Jeder hat andere Talente und bringt uns in einem anderen Bereich voran. Es ist einfach toll, dass Marcel solch eine super Truppe zusammengestellt hat, die auch gut zusammen lachen kann. Unter anderem bringt uns die Strichliste immer wieder zum Schmunzeln, auf der wir verschiedene Dinge, die sich im Laufe der Reise ereignen festhalten werden. Beispielsweise werden verbrauchte Klopapierrollen, überfahrene Tiere, mit dem Rollstuhl angerempelte Personen und Schimpfwörter gezählt. Ausserdem sind wir schon ganz gespannt, wer wohl in einem Jahr unsere Mückenstichkönigin oder unser Mückenstichkönig wird.
Ihr merkt, wir haben viel Spass und es liegt eine tolle Zeit vor uns. Wir freuen uns sehr, wenn ihr uns auf unserer Reise durch Amerika in diesem Blog ein Stück begleitet. Vielen Dank für die vielen tollen Kommentare, wir haben uns sehr über den grossen Zuspruch gefreut. Es wird uns allerdings nicht immer möglich sein, sofort die neusten Berichte und Fotos hochzuladen. Das Aufarbeiten der Fotos und Texte erfordert enorm viel Zeit, die eben nicht immer zur Verfügung steht. Ich möchte mich jetzt schon mal dafür entschuldigen, dass ich keine Liveberichterstattung leisten kann.
4. Bonita
Besonders die Geschichte, die sich um die Buchung der Kreuzfahrt rankt, möchte ich euch erzählen. Es handelt sich hierbei um das Märchen der nicht all zu schönen Bonita:
Es war einmal Mitte August 2012 in einem Reisebüro in New Jersey. Tag ein, Tag aus sass die schwer kurzsichtige Bonita an ihrem Schreibtisch und blickte durch den Rahmen von schwarzem Ebenholz zum Fenster hinaus. Sie beobachtete die Vögel, die durch die Glasbausteine vor ihren Augen, wie bunte verschwommene Punkte aussehen mussten, die wild durcheinander tanzen. Es kamen immer mehr farbigen Flecken hinzu. Als Bonita weithin die bunte Punktdisco beobachtet, geschah etwas Unvorhergesehenes, das Telefon klingelte. Bonita zuckte zusammen. Sie nahm den Hörer ab und führte ihn zu ihrem mit einer weissen Muschelperle behangenen Ohr. Am anderen Ende der Leitung befand sich niemand geringeres als die Gräfin Helen vom Hofe Stalder, bei der ihr Neffe König Marcel derzeit residierte. Sie quasselte aufgeregt drauf los und bat um Informationen für Karibikkreuzfahrten von Florida nach Panama. Bontia leierte einige generelle Informationen herunter, versprach aber etwas vorzubereiten, henkte auf und beobachtete weiterhin die Punktcoreographie im Sequoiabaum vor ihrem Fenster. Nachdem Bontia auf diese Art und Weise viele Stunden in ihrem Turmgemach von Büro zugetan hatte, klopfte es plötzlich an ihre Tür, ihre Kollegin berichtete, dass Kundschaft für sie da wäre. Immer noch erstaunt über diese Tatsache, dass wirklich noch jemand nach dem Schlamassel mit Rumpelstilzchen eine Reise bei ihr buchen wollte, schritt Bonita, die kleine ältere Dame mit ergrautem Haar die Treppe hinab, um die Kundschaft zu empfangen. Es war tatsächlich jemand gekommen, um die holde Bonita um Rat zu fragen. Und zwar traten ein: Der König und Immobiliengrossbesitzer Marcel, Königin Beatrix, der treue Diener Rolli und Jenny, die Hofnärrin. Sie waren gemeinsam mit der Gräfin Helena angereist. Erstaunt über das Eintreffen dieser Gesellschaft, schob Bonita ein paar Stühle zurecht und bat den weitgereisten Gästen einen Platz an. König Marcel war sogar mit seinem eigenen Thron angereist. Bonita tippelte erneut die Stufen zu ihrem Gemach hinauf um dort nach Katalogen zu suchen. Nach einiger Zeit fand sie die mit vielen bunten Bildern verzierten Wälzer unter einer dicken Staubschicht begraben in einer Nische des Gemaches am steinernen Boden. Sie befreite die magischen Bücher, die schon viele Menschenwesen verrückt gemacht hatten von Staub und Spinnenweben und tippelte die steinernen Stufen hinab zu ihren hohen Gästen. Sie nahm auf dem letzten freien Stuhl im Kreise Platz, sah verzweifelt in die Runde und öffnete mit einem tiefen Seufzer den ersten Katalog und begann wie eine Märchentante vorzulesen. Doch oh weh, dies behagte den weitgereisten Gästen so ganz und gar nicht. Sie baten, die Kataloge selbst zu studieren. Doch die verantwortungsbewusste Bonita wollte dies nicht zulassen. Sie versuchte König Marcel und sein Gefolge vor dem Fluch dieser Bücher zu bewahren. Es heisst, Rumpelstilzchen habe diese Kataloge vor 7 Jahren verflucht, als ihm Bonita versehendlich eine Reise nach Sibirien verkaufte, obwohl das arme Wesen doch in diesem Winter nach Sizilien zu einem Workshop im Tanz ums Feuer wollte. Bei – 40 Grad C im Schatten sprach Rumpelstilzchen den Fluch über die drei magischen Reisekataloge aus. Jeder der sie zu lange lesen würde, solle verrückt werden. Bei der Hexe aus dem Pfefferkuchenhaus und der bösen Stiefmutter von Schneewittchen sollen die magischen Seiten der drei verwunschenen Kataloge bereits ihre volle Wirkung gezeigt haben.
Bonita lass mit monotoner Stimme weiter und weiter. Man konnte merken, dass die drei magischen Kataloge bereits ihre Wirkung an Bonita zeigten. König Marcel und sein Gefolge schmiedeten Pläne, wie sie sich dieser unschönen Situation entziehen könnten. Sie waren schon am verzweifeln, da ergriff die Hofnärrin das Wort und bat erneut um die Kataloge. Bonita gab die verwunschenen Werke zögernd herausgab und sprach: Verbringt nicht allzu viel Zeit mit den Katalogen, sie sind sehr schwer zu lesen, verwirren und könnten, den ganzen Hofstaat crazy machen. König Marcel, Königin Beatrix, der Diener Rolli, die Hofnärrin Jenny, die Gräfin Helena und der nun auch eingetroffene Graf Kurt verzagten nicht und sahen sich für einige Sekunden tief in die Augen, sie wogen das grosse Risiko der verrückten Kataloge ab und entschlossen sich, diese grosse Gefahr auf sich zu nehmen und empfingen die magischen Bücher von Bonita. Die Abgabe der Kataloge würde der verwirrten Dame bestimmt gut tun. Die Hofnärrin wagte es auch noch nach weiteren verschiedenen Katalogen zu fragen. Empört fuhr ihr die sichtlich überforderte Bonita ins Wort: Probierst du etwa in einem Schuhgeschäft jedes Paar Schuhe an? Empört blickten sich König Marcel und Gefolge in die Augen und verliessen daraufhin aufrichtig den Saal der crazy Bonita und flüchteten in ihr blaues Gefährt. Sie fuhren auf der Stelle, noch in Gedanken bei Bonita, zum Schloss des Grafen Kurt und seiner Gemahlin Helena zurück.
Am nächten Tag läutete im Hofe Stalder das Telefon. Bonita entschuldigte sich, dass sie nicht vorbereitet gewesen war und auch nochmal ganz besonders bei dem Mädchen mit den Zöpfen für den Spruch mit den Schuhen. Doch nun war es zu spät. Nachdem König Marcel und Gespann vergeblich auf die Enthüllung der versteckten Kamera gewartet hatten, entschlossen sie sich die Kreuzfahrt bei der Frau mit den krassen Augen in einem anderen Hofe zu buchen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen die verschwommenen Punkte noch heute vor Bonitas Fenster.
Und die nicht all zu schöne Bonita wird nun nie erfahren, dass sie die Namensgeberin des Wohnmobiles ist, welches nun als Big Bonita mit König Marcel, Königin Beatrix, dem treuen Diener Rolli und der Campernärrin Jenny durch Amerika touren wird.
5. Cape Cod mit allen Sinnen
Dort wo Atlantik und Küste sich sanft umarmen
Dort wo weicher Sand unter den Füssen kitzelt
Dort wo uns das frische Parfum des Meeres betört
Dort wo die Wellen beruhigend rauschen
Dort wo der Couscous am besten schmeckt
Da baumeln unsere Seelen sanft im sonnigen Wind
Dort wo alle Blau- und Grüntöne ineinander verschwimmen
Dort wo wir schwerelos gleiten
Dort wo Wasser die Nase verschliesst
Dort wo die Stille auf uns wirkt
Dort wo das Salz im Rachen brennt
Da fühlen wir uns unendlich frei
Dort wo weisse Dünen und bunte Hafenstädtchen sich die Hände reichen
Dort wo warme Briesen den Körper streicheln
Dort wo der Geruch von bunter Liebe in der Luft hängt
Dort wo Livemusik aus allen Ecken erklingt
Dort wo zartes Schwertfischsteak unsere Gaumen züngelt
Da feiern wir das Leben
Dort wo Licht und Schatten Fangen spielen
Dort wo die Föhren uns Kühle spenden
Dort wo entspannter Tannenduft uns umgibt
Dort wo Vögel Konzerte geben
Dort wo das Morgenessen ein Hochgenuss ist
Da tanken wir Energie
Dort wo Racepoint und Woodend im ureigenen Rhythmus fröhlich blinken
Dort wo viele Mückenstiche entsetzlich jucken
Dort wo wir tiefe Frische einatmen
Dort wo die Beatbox der Grillen ertönt
Dort wo bitterer Amaro das Festmahl beendet
Da schlafen wir himmlisch

September 2012

6. Big Bonitas Rache
So, jetzt habe ich wirklich die Schnauze voll! Die spinnen doch wohl total die vier komischen Menschen, die nun in mir hausen. Mein gemütliches Leben als Mietwohnmobil in Kanada ist nun vorbei. Man verschleppte mich nach New Jersey zu Helen und Kurt. Dort wurden mir Schränke und Bett entrissen, wieder anders eingebaut und das Bett wieder entfernt. Die wissen wohl nicht, was sie wollen. Und dann haben sie auch noch meine schöne Dusche, die noch nie jemand verwendet hat, brutal zerstört und einfach aus meinem Bauch herausgeschlagen, um dort ein Elektropflegebett hinein zu bauen. Der Kurt hat mir am meisten weh getan und einfach hier ein Brett und da eine Leiste angenagelt. Zum Glück haben sie den in New Jersey gelassen! Dann wurde ich auch noch mit allem möglichen Krempel vollgestopft. Und überall diese unästhetischen Plastikboxen. Glaubt ihr, die haben einmal nachgefragt, ob mir das überhaupt schmeckt, was sie da in meinen Bauch hineinwürgen? Und als wenn das noch nicht genug wäre, diese vier Termiten haben sich in mir festgesetzt und sind nicht mehr abzuschütteln. Echt hartnäckig diese Viecher! Nun soll ich jeden Tag weiter und immer weiter fahren. Mal hier hin, mal dorthin und dann nochmal im Kreis. Muss ich mir das wirklich bieten lassen? Ausserdem meckern diese Wesen in mir immer mit meiner kleinen Freundin Lydia, dem Navigationsgerät. Sie würde den Weg nicht kennen, blöd sein und noch viel schlimmere Sachen. Das konnte ich nicht länger zulassen. Vier grosse Menschen auf ein kleines Navi, das ist doch echt unfair. Jedenfalls habe ich mit Lydia einen Plan ausgeheckt und die Europäer in Boston mal so richtig in die Irre geführt. Das war vielleicht lustig, kann ich euch sagen. Ihr hättet mal ihre lange Gesichter sehen müsse, wie wir sie in der Rushhour immer im Zickzack durch die überfüllte Innenstadt geschickt haben. Und Lydia hat sogar noch einen draufgelegt und die Bande durch ein Parkhaus gejagt. Leider sind sie nicht von der entgegengesetzten Richtung in den Busterminal gefahren. Das hätte nämlich 50 000 $ für den groben Kurt gegeben, weil der mich versichert hat. Wird schon sehen was er davon hat! Schade, diesmal hat es nicht geklappt, aber dafür haben wir sie zu einem imaginären Campingplatz mitten in den Häuserschluchten geschickt. Haha, reingelegt, angeschmiert mit Butter lackiert! Die nahmen doch tatsächlich an, sie haben bald Feierabend und dann mussten wir noch etwa zwei Stunden weiter fahren, bis wir zu einem kleinen Campingplatz ohne Strom im Harold Parker State Forest kamen. Das würde für`s Erste reichen, dachte ich mir. Diese Wesen sind wirklich ganz schön zäh und meckern immer weiter mit der kleinen, armen Lydia. Na gut, ich muss zugeben, sie ist wirklich nicht mehr ganz up to date, verwirrt und die Stromversorgung funktioniert auch nicht mehr so gut wie vor ihrer Demenzerkrankung.
Auf Cap Ann kam ich ins Nachdenken, ob ich vielleicht zu hart mit den Menschen in mir umgegangen war. Eigentlich waren sie ja auch ganz lustig diese Vier und sie haben mir schon viele schöne Orte gezeigt. Cape Cod war echt super. Es war einfach toll, dort am Strand zu stehen und mit King Marcel auf meiner Rampe den Sonnenuntergang zu geniessen. Ich überlegte mir allen Ernstes schon Friedensangebote, die ich ihnen beim Hafenfest mit Bootsparade und Feuerwerk in Gloucester auf Cape Ann, unterbreiten wollte. Denn schliesslich haben die vier Menschen vor, ein Jahr in mir zu wuseln. Da würde es richtig Sinn machen, sich mit denen wenigstens etwas zu verstehen. Ich war guter Dinge und fuhr mit ihnen zum Hafen, da steuert mich die eine Tante da in mir volle Pulle gegen einen grünen Eisenpfeiler und rammte mir das Ding in den Magen und riss mir dabei sogar einen Wasseranschlussdeckel vom Leib. Da stand ich nun verletzt auf dem Parkplatz, während sich diese Kobolde auf dem Hafenfest amüsierten. Das Friedensangebot konnten die jetzt vergessen! Sie sollten die Rache der Big Bonita zu spüren bekommen! Lydia und ich lockten die Vier noch ein paar Mal in die Irre. Das reichte aber nicht aus, um mich zu rächen. Wir schmiedeten einen fiesen Plan. Zwar fuhren mich diese Kakerlaken zu mehreren Werkstätten, aber keiner dieser Hoschies da wollte sich meiner annehmen. So stand ich da aufgerissen und blutend im Regen. Meine Rachsucht war nun voll ausgereift. Ich liess es in mir stinken, so doll ich nur konnte. Und die Trottel dachten doch tatsächlich, es sei die Toilette. Oh man, war das lustig, wie sie ihre Nasen rümpften. Lydia und ich amüsierten uns prächtig. Am ersten Tag liess ich nur etwas meine Gase entweichen, am zweiten Tag, als sich die komischen Leute Portsmouth anschauten, gab ich dann alles was ich konnte. Die Weiterfahrt war sichtlich eine Qual für meine Insassen. Ich hatte sie so weit, sie gaben auf. Hurra! Sie fuhren den nächsten Campingplatz an und verliessen fluchtartig meinen Bauch. Ich fühlte mich frei. Dem komischen Mädchen mit den vielen Zöpfen war kotz-übel und auch der König sass leicht bleich auf seinem rollenden Thron. Das Näschthäckli rannte zum Waschhaus, um sich zu übergeben. Sogar das Campingplatzpersonal hatte etwas von meinem Attentat mitgekommen und rief sofort die Polizei, die dann auch innerhalb von Minuten mit Lalulala und der ganzen Mannschafft anrückte. Auch ihre Freunde von der Feuerwehr und Ambulanz waren in voller Zahl angetreten. Nun wurde auch mir etwas mulmig zumute. War ich vielleicht doch etwas zu weit gegangen? Vielleicht hätte ich den Gasherd nicht auf Stufe neun so lange anlassen sollen. Polizei und Feuerwehrmänner stürmten in meinen Bauch, um meinen Gasgehalt zu messen. Also es war mir schon etwas unangenehm, dass die sich so für meine entsetzlich stinkenden Blähungen interessierten. Die Männer von der Ambulanz wollten die Liebe mitnehmen, aber die wollte nicht. Zum Glück dampften die drei Mannschaften, nachdem sie viel Unruhe verbreiten hatten, endlich wieder ab. Also ich muss wirklich zugeben, dass habe ich nicht gewollt. Am nächsten Tag waren Lydia und ich auch ganz lieb und führten und fuhren die noch etwas mitgenommen Vier ganz artig zum nächsten Campingplatz im Acadia National Park in Maine. Von dort aus sind die Opfer meines Gasanschlags nochmal losgefahren, um meine Delle zu versorgen. Wieder wollte keiner meine Wunden versorgen. Schliesslich wurde ich mit weissem Ducktape vorläufig aber liebevoll geflickt. Nun tut es auch gar nicht mehr so weh. Ich muss gestehen, dass es schon recht cool ist, dass sie dann noch „shit happens“ auf meinen Wundverband geschrieben haben. Ich glaube mittlerweile habe ich mich doch schon recht gut an meinen Insassen gewöhnt und mich auch etwas mit ihnen angefreundet. Es war wirklich keine böse Absicht, dass ich mir eine Nacht bei Canaan, als es so stark geregnet hat, aus Versehen in die Hose gemacht habe und zwei kleine Bäche durch Marcels wird gängig „chambre separee“ liefen. Und bitte glaubt mir, dass ich nichts mit dem kaputten royalen Roho-Kissen zu tun habe, welches den König vor Druckstellen während meiner holprigen Fahrt bewahren soll. Wegen des porösen Kissens stecken wir auch gerade auf dem KOA-Campingplatz bei Canaan fest. Ich hoffe sehr, dass das neue, schwer zu beschaffene Kissen bald eintrudelt und meine Reise mir den vier Menschen in mir weitergehen kann und wir noch viele atemberaubende Landschaften sehen und gemeinsam schöne und unvergessliche Momente erleben werden.
7. Donnerndes Wasser
Der reissende Strom des Niagaras
stürzt donnert 55 Meter tief
Als ich das erste Mal da sass
War es „oh wow“ was ich rief
American und Horseshoe Fälle
sind unglaublich wenn man sie live erlebt
Wie sich jeweils eine riesen Dunstwelle
hunderte von Metern in die Höhe erhebt
In der Höhle vom Wind
ging ich ganz nah an die Klippen
klitschnass wurde ich geschwind
beim tosenden Wasser antippen
Beständig steuert die Maid of the Mist
Ganz nah an die donnernden Wasser
Was für ein Schauspiel das ist
auch hier wird man nass und nasser
Wäre es nicht schöner mit Urwaldbäumen
Stattdessen sind es Casinos und Hotelanlagen
die die Ufer der imposanten Schlucht säumen
und keine wilden Tiere die jagen
Statt Affen nur Menschenmassen
nachts erstrahlen die Fälle im kitschigen Licht
man kann es lieben oder hassen
Etwas dazwischen gibt es nicht
9. Reise in die Vergangenheit (von Beatrix)
Für zwei Tage reisen wir in die Zeit zurück, als es noch keinen Strom und keine Autos gab. Vor uns führt eine Kutsche, die von einem Pferd gezogen wird. Wir sind ganz fasziniert. Nach einer kurzen Weile gehört das zu unserem neuen Lebensgefühl: Pferdekutsche und Autos nebeneinander.
Wir nähern uns den Amish über ihre feine Küche. Wir geniessen ihr Mittagessen in vollen Zügen und brauchen für den Rest des Tages keine Mahlzeit mehr.
Wir besichtigen ein Wohnhaus und haben bei dieser Gelegenheit die Chance, mit einer Amishfrau zu reden. Wir verstehen ihr Pennsylvania-deutsch ganz gut. Das ist eine Mischung von Schwäbisch und Englisch. Sie hat aber Mühe unser Hochdeutsch zu verstehen.
Gekocht und geheizt wird mit Gas und Holz. Die Lampen funktionieren mit Gas, eine beliebte Lichtquelle ist die Kerze.
Es beeindruckt mich, dass es bei ihnen keine Kirche gibt. Sie feiern in ihrem Haus den Gottesdienst. Ein schöner Gedanke, finde ich.
Nicht so begeistert bin ich über ihr Schulsystem. Sie haben eigene Schulen, eigenes Schulmaterial. Viele Fächer werden nicht unterrichtet, andere zensiert.
Eine kleine Kutschenfahrt durfte natürlich auch nicht fehlen. Der Kutscher ist in der achten Generation in Pennsylvania. Er sagt zu Pferd und Kutsche: Gaul und Buggy.
Es gibt viele Vorschriften für Kleider, Haartracht, Heirat, Beruf u.s.w.
Wir meinen, dass die Romantik trägt.
10. Gettysburg
Wie kann es sein, dass Brüder gegen Brüder kämpfen?
Warum mussten in nur drei Tagen 5500 Menschen sterben?
Wie kann es sein, dass Erwachsene so etwas tun?
Warum können sie nicht miteinander reden?
Was geht nur in ihren Köpfen vor?
Wie kann es sein, dass diese Schlacht als etwas Positives dargestellt wird?
Warum glauben viele US-Amerikaner, dass Krieg zu Frieden führt?
Wie kann es sein, dass sie diese Schlacht für die wichtigste der Welt halten?
Warum konnte die Sklaverei nicht auf anderem Wege abgeschafft werden?
Was ist es nur, was diese Meinung vorherrschen lässt?
Wie konnte trotz Leichenmeeren am Little Round Top weiter getötet werden?
Warum konnte nicht mal dieser Anblick die Schätzen begreifen lassen?
Wie kann man nur Menschen erschiessen?
Warum lernen wir nichts aus diesen schrecklichen Kriegen?
Was soll nur aus der Menschheit werden?

Oktober 2012

10. Cherokee
„Osiyo“ sprach ich etwas schüchtern eine Cherokee-Indianerin an, die vor dem Oconaluftee Indian Village in Cherokee in North Carolina stand. Sie war sehr erfreut, dass ich sie auf Tsalagi (wie sie selbst auch ihren Stamm bezeichnen) begrüsste. Rolli kaufte die Eintrittskarten für das Museumsdorf erstand, welches die Lebensweisen der Cherokee-Indianer um etwa 1760 veranschaulicht. Währenddessen sprach ich mit Adsila (ihr Name bedeute übrigens Blüte). Sie erklärte mir, dass die Cherokee in dieser Region viele Wörter eher mit „s“ aussprechen, im Westen verwende man eher „sch“. Zum Beispiel in Alabama würde die Begrüssung nicht „Osiyo“ sondern „Oschyo“ heissen. Besonders beeindruckte mich, dass die Cherokee kein Wort für Verabschiedungen haben. Sie müssen sich nicht verabschieden, weil sie fest an ein Wiedersehen glauben. Im Dorf wurden uns verschiedene Tänze gezeigt. Darunter waren der Bären- und Adlertanz, aber auch der Korntanz war sehr interessant. Die Cherokee waren eher ein sesshaftes Volk. Sie zogen nicht mit Zelten, Wigwams oder Tipis umher, um zu jagen, sondern lieben sich fest nieder und bauten Getreide an. In ihren Tänzen, die viel Lebensfreude ausstrahlten, bedanken sie sich beim Schöpfer unter anderem für die Kornernte. Nach der Tanzdarbietung führte uns Adsila durch einen Teil des Dorfes und erklärte uns die verschiedenen Handwerkskünste. Wir kamen auch zu einem Schnitzstand, wo Masken, Pfeile und Musikinstrumente gefertigt wurden. Ein Indianer bat mich, neben ihm für ein Foto Platz zu nehmen. Ich setze mich auf die Holzbank und mir wurde mit einem elektrischen Heizlüfter, der ganz bestimmt nicht aus dem 18ten Jahrhundert stammte, warm ins Gesicht geblasen. Uns wurde gezeigt, wie Indigene damals mit Blasrohren jagten und wie ihre Bären- und Fischfallen aussahen. Auch die verschiedenen Häuser konnten wir betreten und uns am Feuer wärmen. Bevor wir das Indianerdorf verliessen, lauschten wir noch einem Geschichtenerzähler am Hauptplatz. Eine besonders schöne Geschichte möchte ich gerne an dieser Stelle wiedergeben. Ich gebe sie so wieder, wie sie mir von einem Tsalagi an jenem Tag erzählt wurde:
Die Decke
Vor einiger Zeit, gab es einmal einen Jungen, der erst seinen Vater durch den Bürgerkrieg und nur ein Jahr später auch seine Mutter durch eine schwere Krankheit verloren hatte. Der Achtjährige war nun ganz alleine und ging zu den ältesten seines Stammes. Sie waren sehr weise und brachten dem Indianerjungen so aller Hand bei. Sie zeigten ihm, wofür man welche Kräuter verwenden kann, wie man jagt, wie mal Korn sät und vieles mehr. Er wurde immer grösser und schliesslich wuchs er zu einem stattlichem jungen Mann heran. Er beschloss, die Weisen, denen er sehr dankbar für ihre ganzen Gaben war, zu verlassen und sich in den Bergen ein Haus zu bauen. Nachdem er ein grosses Haus fertiggestellt hatte, ging er ins nächste Dorf, um sich dort eine schöne Frau zu suchen und kehrte wenig später mit ihr in sein Haus zurück. Sie liebten sich sehr und waren glücklich miteinander. So kam es, dass sie schwanger wurde. Die Freude war riesengross, doch als die Frau seinen Sohn gebar, verstarb sie. Der junge Mann war sehr, sehr traurig. Erst wurden ihm seine Eltern genommen und nun auch noch seine geliebte Frau. Aber er hatte noch seinen Sohn. Er brachte ihm bei wie man geht und wie man spricht und zeigte ihm wofür man welche Kräuter verwenden kann, wie man jagt, wie man Korn sät und vieles mehr. Er liebte seinen Sohn sehr, er war alles, was ihm noch blieb. Der Sohn wuchs und wuchs bis auch er schliesslich zu einem Mann heranwuchs. Er beschloss ins nächste Dorf zu ziehen, um sich dort eine schöne Frau zu suchen. Da sein Vater ein so grosses Haus hatte, kehrte er mit seiner Frau in das Haus seines Vaters zurück. Die drei verstanden sich sehr gut und ergänzen sich hervorragend. Der Sohn jagte, der Vater zog das Getreide gross und die Frau kochte. Nach einiger Zeit gebar die Frau ein Kind. Der Grossvater zeigte seinem Enkel, wie man geht, wie man spricht und wofür man welche Kräuter verwenden kann, wie man jagt, wie man Korn sät und vieles mehr. Doch der Grossvater wurde immer älter und gebrechlicher und konnte nicht mehr so viel arbeiten. Eines Tages sagte die Frau zu ihrem Mann: „Ich möchte, dass dein Vater geht!“ Der Sohn erwiderte schockiert: „Das können wir nicht machen, es ist sein Haus und ich liebe meinen Vater!“. Seine Frau jedoch blieb hart und sagte: „Entweder geht er oder ich gehe und nehme deinen Sohn mit und du wirst ihn nie wieder sehen!“ Der junge Mann wurde sehr nachdenklich. Er liebte seinen Vater, aber er liebte auch seinen Sohn. Seinem Vater gehörte seine Vergangenheit und seinem Sohn sollte seine Zukunft gehören. Nachdem er einige Tage nachgedacht hatte, ging er zu seiner Frau und sprach: „Wenn du es so willst, so soll mein Vater gehen, aber ich kann es ihm nicht sagen. Du musst das bernehmen!“. Doch die Frau konnte es auch nicht. So rief sie ihren Sohn herbei, der inzwischen acht Jahre alt war und sagte zum ihm: „Nimm diese Decke und gehe mit Grossvater so weit du nur kannst nach Süden, dann gibst du ihm die Decke und kommst zurück!“. Der Sohn erwiderte: „Aber ich liebe doch Grossvater“! „Sei ruhig und tue was ich dir aufgetragen habe!“ ermahnte ihn seine Mutter. Also warf sich der hilflose Junge die Decke über die Schulter und nahm seinen Grossvater bei der Hand und ging mit ihm nach Süden, so wie es ihm seine Mutter aufgetragen hatte. Nach drei Tagen erblickte die Mutter ihren Sohn am Horizont. Aber was trug er denn dort über seiner Schulter? Als er näher kam erkannte sie, dass es die Decke war. Sie sprach: „Aber Sohn, wie kannst du nur so egoistisch sein und deinem Grossvater nicht einmal die Decke überlassen, sondern sie für dich behalten? „Das stimmt nicht.“, erwiderte der Junge. „Ich habe die Decke geteilt und die Hälfte Grossvater gegeben. Wofür die andere Hälfte wäre, wollte seine Mutter wissen. „Die wirst du eines Tages bekommen.“,“war die Antwort des jungen Indianas. Auf der Stelle machte sich die Mutter auf den Weg, um Grossvater zurück in sein Haus zu holen.
Später nach dem Abendessen beim Abwaschen hörten wir Cherokeemusik und versuchten, dazu zu tanzen. Bonita bebte durch unser Stampfen dazu im Tackt. Statt Kriegsbeil hatten wir die Abwaschbürste und Salatbesteck in der Hand. So macht sogar Abwaschen Spass!

November 2012

Die fetten Meerjungfrauen
Es war einmal vor vielen, vielen Jahren als Camila noch auf allen sieben Weltmeeren umher segelte. Die Crew des stolzen Dreimasters war oft sehr lange unterwegs. Mehrere Monate bekamen die Seefahrer weder Land am Horizont noch Frauen zu Gesicht. Eines Tages machte Leichtmatrose Hans-Rudi, der am heutigen Tage die Schicht im Ausguck übernahm, eine merkwürdige Entdeckung. Die Camila segelte gerade mit vollem Kurs auf die Ostküste Amerikas zu. Sie fuhr im Auftrag des Schweizer Königs Marcello der Nullte. Die Fracht, die Camilla nach Florida bringen sollte, bestand hauptsächlich aus Schokolade und den berühmten Kräuterbonbons. König Marcello trieb einen regen Handel mit Jack Daniels dem Siebten, Freiherr von Tennessee. Die Waren des Königs tauschte er gegen kostbaren Whiskey ein. Aus Gewissheit, dass sie bald ein Schiff voller Whiskeyfässer zurück nach Europa segeln würden, tranken die Matrosen den letzten gar nicht so kleinen Vorrat aus. Vielleicht mag es an der Wirkung der bräunlichen Flüssigkeit gelegen haben oder am Frauenentzug, jedenfalls bemerkte Hans-Rudi etwas am Horizont. Zuerst sah er nur graue Punkte. Nach einer Weile konnte der Matrose, wenn er mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne blinzelte, dicke Körper erkennen, die sich langsam durchs tiefblaue Wasser schwangen. Das darf doch nicht wahr sein, murmelte Hans-Rudi. Nun schrie er aus seinem Ausguck heraus: Hört, hört! Heute scheint unser Glückstag zu sein! Die üblichen Matrosen streckten ihre Köpfe erstaunt aus der Kajüte. Was hat der denn nun schon wieder? Wer stört meinen Schlafe? Nun sag schon, was siehst du! riefen die starken Männer wild durcheinander. Hans-Rudi richtet seine ausgetreckten Zeigefinger auf die merkwürdigen Wesen, die sich erotisch zu bewegen schienen. Meerjungfrauen, voraus! Aufgeregt und erstaunt blickten die Seemänner auf das Meer hinaus und tatsächlich sahen sie, wie sich der schönen Frauen Körper mit einer Flosse am Fussende durch das Azur des Meeres wanden. Den Männern tropfte der Geifer aus den Mündern, hatten sie doch so lange keine Frau mehr zu Gesicht bekommen. Matrose Monty versuchte die schönen Wesen zu zählen: Welch Wohltat für meine Augen! Eins, zwei, drei ich sehe drei wunderschöne Nixen. Dann trank er in einem Zug den letzten Liter Whisky aus seinem Humpen. Sechs, nun sehe ich sechs Nixen! Camila segelte geradewegs auf die hübschen Gestalten zu. Leichtmatrose Hans-Rudi konnte es kaum abwarten, ins kühle Nass zu den Meerjungfrauen zu springen und sich liebkosen zu lassen. Als die Mannschaft nahe genug war, sprangen einige Männer in den atlantischen Ozean, schwammen in Schlangenlienen auf die merkwürdigen Wesen zu. Sie pressten sich an die riesigen, prallen Körper. Auch an dieser Stelle hatten einige, die besonders tief ins Fass geschaut hatte, noch nicht gemerkt, dass sie gerade mit einer riesigen, fetten Rundschwanzseekuh kuschelten
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche ähnlichkeiten mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig. –
Im Homosassa Springs Wildlife State Park hat uns ein Ranger erzählt, es sei tatsächlich immer wieder vorgekommen, dass gestandene Seemänner die fetten Seekühe für wunderschöne Mehrjungfrauen hielten. Auf seinem Bericht basiert die voran gegangene Geschichte.
Der State Park ist unter anderem auch eine Auffangstation für verletzte Manatees (deutsche Bezeichnung: Rundschwanzseekühe). Viele dieser beeindruckenden Wesen sind Motorbooten zum Opfer gefallen. Einige dieser Tiere werden in Homosassa behandelt und wenn es ihre Beeinträchtigungen zulassen auch wieder ausgewildert. Ein Manatee, welchen einen Hirnschaden erlitten hat und sich auf Grund dessen nun oft im Kreis dreht könnte nicht mehr in freier Wildbahn überleben. Es war ein tolles Erlebnis, die Mantees einmal live zu sehen. Im Crystal River sahen wir auch einige wilde Rundschwanzseekühe. Die bis zu 4,5 Metern grossen und bis zu 500 Kilogramm schweren Säugetiere fressen täglich bis zu 125 Kilogramm Seegras. Manatees unterteilen sich in Karibik-, Amazonas- und afrikanische Manatees. Die Rundschwanzseekühe wiederum gehören zusammen mit den Dugongs zu der Familie der Seekühe. Der Fachausdruck für Seekühe Sirenia ähnelt doch erstaunlich stark dem Wort Sirenen. Die aus der griechischen Mythologie stammenden weibliche Mischwesen aus ursprünglich Frau und Vogel, später auch Frau und Fisch betörten Seemänner mit ihrem Gesang , um sie zu töten. Und hier noch für die unter euch, die mal wieder gerne mit ihrem unnützen Fachwissen glänzen wollen, eine anatomische Besonderheit der Manatees: Sie haben nur sechs Halswirbel und sind damit neben den Faultieren (die uns später in Costa Rica bezauberten) die einzigen Säugetiere, die keine sieben Halswirbel besitzen.
Im State Park, gab es auch noch andere Tiere. Unter ihnen auch ein Filmstar im Ruhestand, das 52 jährige Nilpferd Lu aus der Serie Daktari. Leider lebt die rüstige Dame alleine in ihrem kleinen Becken. Auch Adler, Alligatoren, Bären, Wölfe, verschiedene Vogelarten und viele weitere Tierarten werden im State Park scheinbar wieder aufgepäppelt. Doch geht es hier wirklich ums Wohl und die Genesung der Tiere, oder vielmehr um die Einnahmen der Besucher, die die eingesperrten Tiere anstarren?

Karibik
Ruhe
Energie tanken
Ueberschwemmungen in Panama
Zauberer IP
Funkelnd türkieses Wasser
Ausflüge
Hotelservicepauschale
Regen
Tolle Zeit

Dezember 2012

Rückblick
Meine Angst vor Mittelamerika
Wenn ich das gewusst hätte, dass es so viele Probleme gibt durch Mittelamerika zu reisen, wäre ich das Abenteuer nie eingegangen. Ich bin froh, dass ich es nicht gewusst habe! Um die Zeit zu überbrücken bis unsere Bonita endlich Panama erreicht, entschieden wir unsere für eine Karibikkreuzfahrt.
Eigentlich wollten wir ja in Colon (Panama) unsere Kreuzfahrt beenden, da das Land aber durch die heftigen Regenfälle unter Wasser stand, durften wir noch eine Station weiterfahren nach Puerto Limon (Costa Rica).
Wir standen da am Hafen von Puerto Limon, wie bestellt und nicht abgeholt mit unserem Gepäck (4 Koffer, 5 Rucksäcke, 1 Reisetasche, Karton mit Pflegematerial und 3 Umhängetaschen). Das rief natürlich sehr viele Taugenichtse auf den Plan, uns (sich selber) zu helfen. Was machen wir bis Bonita ankommt am 7 Dez. und wo übernachten wir und wie kommen wir zurück nach Colon? Lauter Fragen, da kam uns die „amigos“ zur Hilfe. Amigos gibt es hier in Mittelamerika sehr viele, lauter gute Freunde, die nur helfen wollen. Dieser Umstand bescherte uns einen Taxifahrer, der uns nach Cahuita brachte und ein tolles Hotel wusste, direkt am Meer. Zuerst gab es aber noch eine Taxifahrt, die ich auch nie mehr vergessen werde. Da es für mich das einfachste ist, im Rollstuhl zu bleiben während der Fahrt, entschied ich mich, hinten in den Bus zu steigen samt Rolli (nicht Rene). Ich habe natürlich nicht damit gerechnet, dass die Strassen so schlecht sind in Costa Rica und die Fahrer sich nicht an die Strassenverhältnisse anpassen. Bei jeder Unebenheit sprang ich samt Rollstuhl 5 cm in die Höhe und von diesen gab es nicht wenige. Ich war froh beim Hotel anzukommen, die Strapazen haben sich aber gelohnt, als wir beim Hotel Park ankamen. Ein tolles Hotel, schön ruhig, direkt am Meer und nahe beim herzlichen Städtchen Cahuita. Super, hier lässt sich die Zeit bis zur Ankunft von Bonita am 7.Dezember überbrücken…
Ok, organisieren wir 2-3 Ausflüge, da wir sahen, dass der Linienbus rolligängig war, tolle Sache dachten wir
Das Abenteuer beginnt am nächsten Tag. Wir planten einen Ausflug in den Veraguas Regenwald mit dem Linienbus. Dies war lebensgefährlich, der Fahrer fuhr wie von der Tarantel gestochen, am Anfang regte ich mich noch auf, dann hoffte ich einfach nur noch, dass die Fahrt so schnell wie möglich vorbei ist und ich sie überlebe. Jetzt war ich geimpft für die nächsten Ausflüge, dies mache ich nicht mehr mit. Der Park war spitzenmässig, Faultiere, Schlangen und Affen säumten unseren Weg durch den super rollstuhlgängigen Park. Am Schluss fuhren wir noch mit der Gondelbahn über den Urwald, der hohe Eintrittspreis hat sich gelohnt. Der Rückweg im Taxi war dann sehr entspannend, da mich Rene vorne ins Taxi hob. Wau, das war ein Wechselbad der Gefühle. Am nächsten Tag wurde ich übermütig und wir machten eine Bootstour in einer Nussschale. Sind früh aufgestanden, um Delphine anzuschauen. Sahen zwar keine, aber es war trotzdem eine tolle Fahrt. Für die Weiterreise habe ich eine enorm wichtige Erfahrung gemacht.
Als wir am nächsten Morgen aufstanden, war der Samichlaus da und hat uns allen ein Armbändchen gebracht mit einer Schildkröte aus Porzellan. Super Idee von Jenny, das symbolisiert unseren Zusammenhalt und den brauchen wir die nächsten 8 Monaten, d.h. heute schon. Dieser Tag sollte der Intensivste werden von unserer Reise bis jetzt. Das Taxi kam wie abgemacht um die vereinbarte Zeit, es war ähnlich hoch wie ein VW-Bus, wau wie soll ich da rein. Rene nahm mich über die Schulter und stellte mich auf meinen Füssen auf und hob mich ins Auto, dies ging ja sehr gut. Jetzt wusste ich, dass dies gut kommt mit dem heutigen Tag. Also fuhren wir vollgestopft bis zum letzten Plätzchen Richtung Grenze. An der Grenze mussten wir samt unserem Plunder aussteigen und über die Grenze nach Panama zu Fuss watscheln und es wollte uns jeder helfen, natürlich nicht aus Nächstenliebe.
Wir hatten allerhand zu tun, um den überblick auf unser Gepäck zu waren. Es gelang uns mit grosser Aufmerksamkeit.
An diesem Tag hatten wir über 30 Grad und wir waren froh als wir auf der anderen Seite wieder unseren Krempel versorgen durften. Auf ins nächste Taxi an die Atlantikküste nach Almirante, wo wir übernachten wollten, um am nächsten Tag per Fähre zu den Bocas weiter zu ziehen. Wie meistens kam dann eh alles anders, denn wir fanden kein rollstuhlgängiges Hotel, also informierten wir uns über den Preis eines Wassertaxis. Wau, das war ja eine Hammerfahrt in dieser Nussschale, vor allem auf offener See und bei diesem Wellengang. Auf jeden Fall waren wir alle nass, aber es war geil. Auf der anderen Seite waren wieder lauter Freunde, die uns alle helfen wollten Also mussten wir unser Gepäck wieder gut im Auge behalten, dass nichts abhandenkommt. Nach 5 mal anhalten an einem Hotelsteg hatten wir unseres gefunden, natürlich auf Stelzen ans Ufer gebaut. Tolle Sache, dachten wir und richteten uns ein. Zuerst musste ich trocken gelegt werden, da ich bis auf die Unterhosen nass war.
Die nächste überraschung kam in der Nacht. Wir waren alle so müde, dass um 10 Uhr Nachtruhe war, dachten wir. Das Hotel lag neben einer Disco mit ohrenbetäubender Technomusik. Wau, dies war ja eine Nacht, bis 3 Uhr war nix mit einschlafen und wir waren den nächsten Tag fix und foxi. D.h. wir mussten unsere Strategie ändern und machten den Tag zur Nacht und umgekehrt.
Am nächsten Tag schauten wir uns das Städtchen Bocas Town an, dass auf der Isla Colon liegt. Ein interessantes Städtchen mit viel ausgenutztem Potential, aber halt am Abend Partytime und nichts mit Ausruhen in der Nacht. Also legten wir uns am Nachmittag hin und erledigten unsere Sachen nach dem Essen, um dann in das Nachtleben einzutauchen. Ja, die Strategie ist ja gut und recht, aber nicht so toll, wenn man am nächsten Tag etwas los hat. Weil der nächste Tag war vollgespickt mit Höhepunkten, wir haben ein Boot gemietet samt Fahrer und machten eine Inseltagestour (Red Frog Beach, Delphinbucht, Isla Bastimento). Wau, dies war einfach genial. Beim Red Frog Beach stieg ich auch aus, zuerst wollte ich zwar nicht, weil es halt immer mit viel Aufwand verbunden ist. War ich froh, dass sie mich überredet hatten, eine super Aussicht aufs Meer und den tollen Sandstrand. Also liess ich mir mein Buch geben, platzierte mich oberhalb der Klippen und fing an zu lesen. Was für ein feeling mit der Brandung im Hintergrund zu lesen.
Feliz Navidad
Es ist schon komisch, Weihnachten so weit weg von seiner Familie zu verbringen. Irgendwie kam im ganzen Dezember kaum Weihnachtstimmung bei uns auf, obwohl die Panamessos uns den Anblick ihres kitschigen Weihnachtsschmucks nicht erspart haben. Im Melia-Hotel in Colon liefen jeden Tag etwa 15 verschiedene Weihnachtslieder in einer Dauerschleife. Nicht nur, dass wir dauernd die gleichen Lieder hören mussten, sie waren auch noch sehr scheusslich gesungen. Rene mutmasste zur grossen Erheiterung von Marcel, dass die CD wohl vom ortansässigen Kastratenchor aufgenommen wurde. Als wir unseren Ober baten, ob er vielleicht andere Musik auflegen könnte, entgegnete er nur, dass er selbst schon total genervt sei, dem Gequietsche aber kein Ende bereiten könnte, da die Besitzer des Hotels den Ohrenangriff einprogrammiert hätten. Am 24. Dezember war ein schöner, warmer und sonniger Tag. Ich bin noch nie Weihnachten draussen geschwommen. (Nur einmal an Silvester bei Schnee und Eis in Dänemark. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.) So richtig weihnachtlich war aber eigentlich nichts. Einfach ein ganz normaler Tag, an dem wir Einiges erledigten und wie jeden Tag auf Bonita warteten. Ich las auf Facebook, dass in Deutschland der Weihnachtsmann (von meinem Vater vertreten) schon längst bei meinen Cousinen und Cousins war. Es lag natürlich auch an den sechs Stunden Zeitverschiebung, dass in unseren Heimatländern schon alle besinnlich beisammensassen, nur hier im warmen Panama fehlte einfach etwas für ein schönes Weihnachtsfest. So gegen 19:30 Uhr trafen wir Vier uns in der Bar, in der ich jedem meiner neuen Familienmitglieder ein kleines Geschenk überreichte. Dann gingen wir zum Essen. Wir freuten uns, diesem Abend mal keinen Kastratenchor hören zu müssen, denn uns wurde eine typische Band aus Panama versprochen. Stattdessen hackte der Mann am Keyboard verkrampft in die Tasten, während ihm der Schweiss von der Stirn lief. Ich vermutete, dass er wohl die Band überfahren hatte und nun als Strafe selbst spielen musste. Wir assen ein Weihnachtsbuffet und tranken Wein. Es war schon ein wenig trist. Anschiessend wollten wir noch kurz in die Hotelbar und dann ins Bett. Tja, das sollte unser Weihnachtsfest in Panama gewesen sein. Die Kinder vom Nachbartisch stellten sich neben den schweissgebadeten Keyboarder und sangen gemeinsam mit ihm Weihnachtslieder auf Spanisch. Beatrix und ich kamen hinzu, um den lieblichen Kinderstimmen zu lauschen. Eine Frau winkte Beatrix zu und sie winkte zurck. Eh wir uns versahen, hatte uns Martha schon umarmt und Feliz Navidad gewünscht. Sie rief ihren Sohn Ismael herbei, da er gut Englisch sprach. Wir unterhielten uns kurz. Später kam die ganze Familie, die aus etwa zehn Leuten bestand, noch zu uns an den Tisch und umarmten uns und wünschten frohe Weihnachten. Das alleine brachte schon wenigstens etwas weihnachtliche Stimmung. Martha und ihr Mann, der genau wie sein Sohn und sein Vater auch Ismael heisst, luden uns in ihr Haus ein. Ismael der Dritte holte uns, nachdem er seine Familie zu Hause abgeladen hatte, im Hotel ab und brachte uns zu seiner liebenswerten Familie nach Hause. Es war so schön. Martha wollte, dass wir ein deutsches Weihnachtslied singen und brachte uns Haarbürsten, die als Mikrophon dienen sollten. Wir haben getanzt. Ismael Junior brachte mir Merenguetanzen bei. In Panama ist die Bescherung erst um Mitternacht, gefolgt von einem Feuerwerk. Es ist unglaublich, aber diese Familie hat vier wildfremde Menschen zu sich nach Hause eingeladen und dann auch noch beschenkt. Es hat mich total gerührt, als Beatrix und ich von Martha ein Weihnachtsarmband und Glückchenohringe bekamen. Den Männern wurden Hosen geschenkt und Marcel noch eine Pudelmütze, die man in Panama wohl nur wegen den viel zu kühl eingestellten Klimaanlagen benötigt.
Am nächsten Tag haben wir mit dem kleinen Ismael einen Ausflug nach Portobello gemacht, welches die erste Siedlung der Spanier in Panama war. Weiter ging es unter den Gatunschleusen vom Panamakanal hindurch zur Landzunge Rompeolas, wo wir direkt am Meer zu Abend gegessen haben. Am nächsten Tag kam uns Ismael im Hotel besuchen. Abends kamen auch seine Eltern hinzu. Es fühlte sich so an, als wären wir alle schon sehr lange befreundet. Ohne die Hilfe dieser herzensguten Familie würden wir wahrscheinlich immer noch in Colon auf unsere Big Bonita warten und genau wie fast alles dort Schimmel ansetzen. Ein weiterer Ausflug mit Ismael führte uns nach Panama-City ins Ballett zu einer sehr schönen Inszenierung des Nussknackers von Tschaikowsky mit anschliessender Stadtrundfahrt. Silvester feierten wir auf der Isla Perico, von wo aus wir einen tollen Blick auf die Skyline von Panama-City hatten. Leider war hier etwas tote Hose an diesem Abend und auch die Fleisch- und Fischplatte im kolumbianischen Restaurant war nicht so bingo-bongo (siehe Wortschatzerweiterung). Die letzten Minuten des ereignisreichen Jahres 2012 verbrachten wir damit, auf das Wechselgeld in der Bar Bucanero zu warten. Dann haben wir total alleine auf dem Weg zum Hotel das neue Jahr begrüsst. Kein Mensch weit und breit. Wie spät es genau war, wussten wir auch nicht. Wir haben dann einfach irgendwann angefangen, den Countdown zu zählen und haben das Jahr 2013 begrüsst. Anschiessend haben wir noch etwas dem Feuerwerk drüben in Downtown zugeschaut, was durch den Smok nicht so gut zu sehen war. Ja, das war unser etwas chaotisches Silvester 2012.
Aber dafür war der erste Januar 2013 umso schöner. Beatrix und ich waren shoppen und die Männer haben Schach gespielt. Am Abend wollte Ismael der Dritte kommen. Als Überraschung brachte er auch noch Martha und Ismael den Zweiten mit. Sofort war gute Stimmung. Wir haben aus Spass Beatrix Tochter Doris mit Ismael Junior verkuppelt und die beiden Schwiegermütter haben sich schon gut verstanden. Beatrix sprach Italienisch und Martha Spanisch, dann kam noch etwas Schweizerdeutsch und Hände und Füsse hinzu und es funktionierte super. Bei einem gemütlichen Abendessen im Bennigans (einem irischen Pub, der kein Guinness hatte), erzählte uns Martha, sie habe vier grosse Geschenke bekommen mit den Namen Marcel, Rene, Beatrix und Jenny. Beim Haare bürsten am Weihnachtsmorgen habe sie gewusst, dass sie uns treffen werde. Sie war zu Tränen gerührt als Marcel gesagt hat, wir haben Weihnachten mit unserer neuen Familie gefeiert. Sie dachte wohl, dass auch sie damit gemeint wäre, aber tsch-bätsch zu früh geweint, Marcel meinte eigentlich nur uns vier.
Als wir Bonita endlich wieder hatten, kamen nochmal unsere neuen Freunde vorbei, um mit uns Bonitas Ankunft zu feiern. Es wurde zugleich ein tränenreicher Abschied. Martha sagte uns, Mi casa es su casa und wir hätten immer ein Zuhause bei ihnen. Wir spassten, dass wir uns spätestens alle auf der Hochzeit von Doris und Ismael wiedersehen würden. Am vierten Tag des neuen Jahres verliessen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge Colon und unsere frisch gewonnenen Freunde.

Januar 2013

Die Verschiffung von Bonita
Was für ein Theater mussten wir über uns ergehen lassen, bis wir die Bonita endlich abholen durften in Panama. Das ganze fing schon mit Rich an, dass ist der Dealer über den wir die Verschiffung gebucht haben.
Alles kein Problem, war sein häufigster Satz (eigentlich wie bei fast allen Amerikanern). Sobald es aber ein Problem gibt, schieben sie es weiter zum nächsten kein Problem-Typ. OK, der 15.11. ist der Stichtag, dann müssen wir die Bonita abgeben in Fort Lauderdale. Tolle Sache, dachten wir, dann können wir in dieser Zeit eine Kreuzfahrt machen und die Bonita am 06.12. abholen.
Eigentlich hatte ich von Anfang an ein schlechtes Gefühl bei der Verschiffung von Bonita, aber wenn man A sagt, muss man auch B sagen.
Mein Hauptargument war: Es waren viel zu stressig gewesen über den Landweg nach Panama runter zu fahren und dann wieder rauf.
Die Kreuzfahrt war toll, sicher nicht meine letzte!
Da wir ja eh nicht in Colon aussteigen durften (Überschwemmungen), kam uns das gerade Recht. Puerto Limon war unser Hafen, also stiegen wir da aus und erholten uns in Cahuita, was sehr toll war. Konnten auch ein paar Ausflüge machen mit dem Kamikaze-Linienbus, dann nur noch mit dem Taxi (weil ich an meinem Leben hänge).
Am 1 Dezember kam das Mail, dass Bonita mit dem nächsten Frachter ankommen werde. Wir schalteten Kurt ein. Ihm wurde mitgeteilt, dass es Probleme beim Zoll gab und das die der Grund sei. Für mich war klar, dass die Firma einfach zu wenig Frachtgut hatte und jetzt dem Zoll die Schuld gab.
Machen können wir eh nichts, ausser einen schlechten Eindruck. Also blieb uns nichts anders übrig, als alles zu akzeptieren. Der nächste Termin war der 25.12. Wieder alles um planen. Reicht das Pflegematerial? Nein, ich habe nur noch bis 24.12. Material. Scheisse, wo bekomme ich das jetzt her? O.k. rufe ich zuhause an, sie sollen mir das Pflegematerial ins Hotel Melia schicken. Das Erste wäre erledigt. Was machen wir bis dann? Cahuita kennen wir und wir müssen nach Colon, denn da kommt Bonita an. Also mieteten wir ein Auto in David und machten ganz tolle Ausflüge.
Der 24.12. ist da, Anruf am Hafen, wann können wir Bonita abholen?
Am 27. könnten wir sie abholen, alles kein Problem. Sie würden uns Bescheid geben. Wau toll, endlich können wir weiter nach unserem Tempo. Ich freue mich so! Der 27.12. ist da, Rene ruft am Hafen an, die Vorfreude ist riesig. Der Kurier ist nicht gekommen. Was soll das? Die Papiere seien in Florida verspätet abgeschickt worden und kämen am 31.12. per Kurier in Colon an. Nach einem emotionsgeladenen Telefonat mit der Agentur in Florida, wird erklärt, die Schifffahrtsgesellschaft hätte Schuld und wir könnten nichts machen. Es hätte um Weihnachten herum Computerprobleme gegeben und das sei höhere Gewalt. Toll, die verarschen uns nach Strich und Faden. Rene ruft noch mal am Hafen in Colon an und macht seinem Ärger Luft. Die Frau hängt auf.
Da sie aber am 31. nur halbtags arbeiten, können wir Bonita erst am 02.01 abholen.
Ich glaube nicht mehr daran, dass ich Bonita je wiedersehen werde und bin total frustriert, was auch aufs Team rüber schwappt. Sie haben Bonita verlauert (siehe Wortschatzerweiterung)! Ich kann das nicht einfach wegdrücken wie Beatrix und Rene. Bei mir sieht man das halt sofort, dass was nicht stimmt und ich brauche das auch für meine Verarbeitung. Ja, dies ist halt die andere Seite meines Ichs. Für meinen Ausgleich, brauche ich beide Seiten (die in mich eingekehrte Verarbeitungsphase und die ansteckende glückliche).
Um Abwechslung vom Melia Hotel zu bekommen (der Kastratenchor war nicht mehr auszuhalten), entschliessen wir uns zu einem gemütlichen Wochenende in Panamastadt über Silvester. Was uns aber doch sehr erstaunt, kein Mensch ist auf der Strasse. Komisch, die scheinen erst am 01.01. zu feiern. Schade wir hatten uns auf eine Party gefreut.
Am 02.01. warten auf das erlösende Phone von Carlos! Der Anruf kommt, Wau, wie lange ist es her? 48 Tage! Wir dachten, endlich könnten wir unsere Bonita umarmen. Carlos kam uns in Panama Stadt abholen und wir fuhren in die Freihandelszone, um dort unsere Papiere abzuholen. Um den Papierkram für den Zugang zu umgehen, mussten wir den Sicherheitsdienst bestechen. Wau, wie im Film! Also ab zur Zollbehörde. Doch der Typ hat früher Feierabend gemacht, kommt morgen wieder. Schockiert und fassungslos kehren wir ins Melia Hotel zurück.
Die Stimmung ist auf einem Tiefpunkt angelangt, vor allem bei mir. Ich mag nicht mehr waren meine Gedanken!
Der nächste Tag kam und wir fuhren wieder Richtung Freihandelszone aber dieses Mal fuhren wir nicht hinein, sondern liessen das Taxi draussen und nahmen den kurzen Weg zu Fuss in Angriff. Die Frau, die uns die Papiere aushändigen sollte, hatte keine Ahnung und hat heute auch das erste Mal einen PC gesehen. Wau, die hatte ja ein Tempo drauf, 1 Anschlag pro Minute, da bin ich ja direkt ein Wirbelwind im Tastatur schreiben. In dieser Zeit konnte ich mich ein bisschen umschauen im Büro. Wau, hatten die ein Puff (siehe Wortschatzerweiterung). Kunststück, haben die unsere Papiere nicht gefunden. Dann fuhren wir zum Hafen, um Bonita abzuholen. Es war so heiss, dass ich fast umkippte. Nach einer Stunde anstehen (obwohl wir die Einzigen waren), kam Bewegung ins Mikado. Ich hab sie gesehen, schrie ich voller Aufregung, denn wirklich rechnete ich nicht mehr damit, dass wir die Strassen von Mittelamerika durchqueren würden. Wieder Aufregung am Schalter, die Bonita springt nicht an! Carlos kommt zu uns und erklärt, dass wir irgendwo hinfahren müssen und dort einen Mechaniker zu bezahlen. Also liessen wir diese Schikane auch über uns ergehen und fuhren wieder zurück, um den Mechaniker zu bezahlen. Wieder zum Hafen, dort die Quittung zeigen, dann wieder warten. Keep rolling Bonita, sie kommt angerauscht. Ich kann mich gar nicht freuen, denn ich bin fix und foxi.
Das Ganze war zu viel für mich
Die ganze Angelegenheit hat bei mir Spuren hinterlassen, die sich noch eine Woche hinziehen werden.
Jetzt bin ich wieder für neue Abendteuer bereit, dass nächste erwartete uns ja an der Grenze zu Costa Rica.
Keep rolling again, Big Bonita
Am 4. Januar 2013 ging es endlich wieder auf grosse Fahrt mit unserer, so sehr vermissten, Bonita. Rolli ist mit Carlos, unserem Taxifahrer, losgefahren, um Gas für Bonita zu organisieren. Beatrix und ich haben weiter Bonitas Bauch geputzt und eingerichtet. Marcel hat sich den ganzen Frust von der Verschiffung und der Wiederergatterung unserer Big Bonita von der Seele geschrieben. Die Beschaffung des Propans hatte sich als rechtes Problem herausgestellt. Rolli und Carlos waren Stunden unterwegs und konnten kein passendes Gas finden. An den Tankstellen war nichts zu bekommen und alle anderen Panamessos an Gasstationen machten mal wieder den ganzen Tag Siesta. Wir sahen schon unsere langersehnte Weiterfahrt am heutigen Tag in Gefahr. Fünf Minuten vor Dienstschluss erreichten wir Panagas auf dem halben Weg nach Panama City. Erst wollten sie uns Butangas einfü llen, aber die Systeme in Bonita sind für Propan ausgerichtet. Mir war etwas unwohl mit dem ganzen Gas dort und die Vorsichtsmassnahmen schienen nicht sehr gross zu sein. In Panama wird eher Butan verwendet, da es dort so warm ist und Propan einen grösseren Druck hat und dann schneller explodiert. In kälteren Regionen braucht man aber den Druck, weil die Wärme das Gas dort nicht so stark ausdehnen lässt und da Bonita eine Kanadierin ist, ist sie für Propan ausgerichtet. Ich möchte mir gar nicht die Folgen ausmalen, was hätte passieren können, wenn uns Panagas Butan eingefällt hätte. Mit der Hoffnung, dass Bonita keinen zweiten Gasanschlag auf uns ausüben wird, obwohl wir sie so lange alleine gelassen haben, fuhren wir weiter. Auf der Isla Perico vor Panama City, wo wir schon Silvester verbrachten, übernachteten wir das erstemal in Mittelamerika wieder in Bonita wir auf dem Hotelparkplatz des Ocean Views. Wir waren alle froh, unsere Bonita endlich wieder zu haben.
Am nächsten Tag haben wir einen Grosseinkauf gemacht und sind weiter nach Playa Blanca gefahren. Auch diesen Platz hatten wir schon vorher ausgekundschaftet. Der Besitzer der wunderschönen Strandbar Pipas, den wir auf Grund seines Aussehens Meister Proper tauften, hiess uns auf seinem Grundstück willkommen. Wir parkten Bonita unter Palmen im feinen, weissen Sand nur wenige Meter von der Meeresbrandung entfernt. Sogar Waschräume wurden uns zur Verfügung gestellt. Wirklich bemerkenswert finde ich, dass Meister Proper dafür nicht mal Geld haben wollte. Der Pazifik bot uns die passende Abkühlung bei den hohen Temperaturen von mindestens 35°C. Wir haben dann in Meister Propers Strandrestaurant lecker zu Abend gegessen und ein grosszügiges Trinkgeld bezahlt.
Am nächsten Morgen sind wir früh aufgestanden. Endlich gab es mal wieder Müsli mit viel frischem Obst zum Frühstück. Das Messer zum Ananas schneiden mussten wir uns bei Mister Clean, wie er in den USA heisst, leihen. Alle unsere Messer sind nämlich bei der Verschiffung von Bonita verschwunden. Die Langfinger haben auch viele von Marcels Sport-T-Shirts, meine Shenandoah-Nationalpark- Sporthose und Beatrix Wanderhose mitgehen lassen. Wir vermuten, dass die Diebe die FC-Basel Trikots für FC-Barcelona gehalten haben. Vom Fussball-Club-Barcelona sind hier fast alle Fans. Also falls jemand von euch mal durch Panama läuft und jemand mit einem FC-Basel-Shirt sieht, der es für eins von Barcelona hält, dreht ihn schnell im Kreis, zieht ihm das Oberteil aus, rennt flink weg und sendet es zurück an Marcel. Vielen Dank!
Am nächsten Tag waren wir schon um 9:30 Uhr abfahrtbereit. Mittags haben wir uns ein paar Maismehl Tacos und Empanadas bei einem Imbiss geholt und sind dann den ganzen Tag auf der Interamericana immer Richtung Norden gefahren. Als wir David, die heisseste Stadt Panamas, hinter uns gelassen hatten, haben wir bei Concepcion auf einem Restaurantparkplatz übernachtet. Wir sahen einen Wohnwagen in der Garage stehen und dachten uns, dass sie hier bestimmt Erbarmen mit uns haben. Der Chef hat uns gratis dort stehen lassen. Wir sollten nur dem Nachtwächter ein Trinkgeld geben, den wir aber gar nicht gesehen haben. Endlich haben wir mal wieder in Bonita gekocht. Es gab Knoblauchreis, Steak und einen Wendy-Salat (Grüner Salat mit Apfel und Nüssen und einer Honig-Senf-Sosse, diesmal allerding ohne Honig). Der Salat heisst bei uns so, weil wir die Idee von der Fast-Food-Kette Wendy in den Staaten geklaut haben. Mensch, wie habe ich das Kochen vermisst! Nur auf das Abwaschen hätte ich verzichten können. Abends haben wir in dem Restaurant noch was getrunken und waren mal wieder im Internet.
Am nächsten Morgen gingen wir unserer nicht ganz so billigen Lieblingsbeschäftigung nach, die TD Bank anzurufen. Mal wieder konnten wir kein Bargeld abheben. Erst zwei Wochen zuvor hatte ich mit Marcel dort angerufen und uns wurde gesagt, dass sie nicht gewusst hätten, dass wir in Panama seien und deshalb vermutet wurde, dass die Visa-Karte geklaut worden sei. Jetzt ist es schon so weit gekommen, dass man bei seiner Bank seinen Urlaub einreichen muss. Unglaublich. Was wollen die als nächstes wissen? Die BH-Grösse oder etwa den IQ?
Am nächsten Tag fuhren wir die letzten, wenigen Kilometer bis zur Grenze. Auf der panamesischen Seite lief alles bingo-bongo (siehe Wortschatzerweiterung) super schnell. Marcel musste nicht mal aussteigen. Ein Beamter kam zur Passkontrolle direkt in Bonitas Bauch. Dann konnten wir einfach durchfahren und waren schon um etwa 11 Uhr in Costa Rica. Wir hätten einfach weiter fahren können, uns hätte niemand aufgehalten, aber wir brauchten noch die Stempel in unserm Pass und eine Versicherung für Bonita. Die Stempel waren auch kein Problem, wieder kam für Marcels Passkontrolle eine freundliche Beamtin mit in Bonita. Sie war total begeistert von unserem riesigen Geführt. Aber für die Versicherung und den Zoll, um Bonita nach Costa Rica einzuführen, fehlten uns Dokumente. Da das Wohnmobil auf Kurt angemeldet ist, wollten sie seine Ausweiskopie und eine vom Anwalt beglaubigte Bestätigung, dass Kurt uns mit seinem Fahrzeug fahren lässt. Wir riefen sofort Kurt an. Der Arme war gerade auf der Arbeit und ist extra nochmal nach Hause gefahren, um seinen Reisepass zu holen. Die Beamten hatten es uns wirklich nicht leicht gemacht. Warum bestanden sie bloss so stur (in diesem Fall ist die Hochdeutsche Entsprechung gemeint siehe Wortschatzerweiterung) auf dieser Beglaubigung. Kurt wollte uns die benötigten Dokumente faxen, aber die Nummer der Zollbehörde funktionierte nicht. Was für ein Sch.! Ich zerfloss fast in der heissen Bonita, als ich sie hütete, während ich an der Reiseplanung weiterarbeite und fleissig Reiseberichte schrieb. Der Rest meiner Familie auf Zeit war mittlerweile zum Chef der Zollbehörde gegangen, nachdem Rolli den sturen Beamten darauf hingewiesen hatte, dass es ein Gesetz gibt, nach dem Menschen mit Handicap bevorzugt behandelt werden sollen. Von diesem Gesetz hatte uns Martha erzählt, da sie auch beim Zoll arbeitet. Der Chef war sehr nett und hat von der Beglaubigung abgesehen. Nun bekamen die Drei eine neue Beamtin zugeordnet, die erstmal wieder von vorne begonnen hat. Der Sieger im Beamtenmikado (nach der Regel: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren) hatte bereits Feierabend gemacht. Nach über sieben Stunden war es dann endlich so weit, wir verliessen schweissdurchnässt mit allen nätigen Stempeln und Versicherungen die Grenze Richtung reiche Küste. Da es schon dämmerte, mieteten wir eine Zweipersonen-Cabina im grenznahen Städtchen Paso Canoas und durften dafür mit Bonita auf dem Grundstück stehen. Am Abend räumten wir unsere ganzen Papiere auf, die wir ziemlich verlauern (siehe Wortschatzerweiterung) haben lassen. Zu unserem grossen Schreck stellten wir fest, dass der originale Kaufvertrag von Bonita fehlte. Rene fragte Marcel: Möchtest du ein Bier? Er lehnte ab. Als Beatrix nach einer ganzen Weile das Dokument endlich in den Händen hielt, war die Erleichterung gross. Jetzt nehme ich ein Bier! rief Marcel freudig. Wir gingen noch etwas Essen und fielen danach wie Steine ins Bett.
Bei unser Weiterfahrt Richtung Norden fielen uns sofort einige Unterschiede zwischen Panama und Costa Rica auf. In Costa Rica wird viel mehr Wert auf Sauberkeit der Umwelt geachtet. Es liegt kaum Möll herum und der Abfall wartet erhöht oder verschlossen auf seinen Abtransport, damit Tiere, wie zum Beispiel Waschbären nicht die Beutel zerrupfen und alles verteilen. Ausserdem wird hier sehr auf Mülltrennung geachtet. Aber dafür ist in Costa Rica fast alles viel teurer und touristischer, was Vor- und Nachteile mit sich bringt. Die Strassen sind etwa gleich, obwohl uns schon öfter gesagt wurde, dass Costa Rica die besseren Strassen hätte. Die vielen Schlaglöcher lassen uns mit der grossen Bonita nur langsam über die Strassen holpern. Aber besser sicher als schnell. Man könnte Bonita mit einer Riesenschnecke vergleichen. Sie schleicht zwar langsam über die Strassen, aber dafür haben wir unser Zuhause immer dabei und es lösst sich herrlich in ihr leben.
Als wir im, mit wunderschönen Bilderbuchstränden gesäumten, Manuel Antonio Nationalpark ankamen, konnte unser zweites Costa Rica Abenteuer endlich so richtig beginnen. Diesmal aber zum Glück mit fahrbarem Untersatz mit Schneckenhaus.

Februar 2013

Nachtrag von Dezember:
Familie auf Zeit
Von den meisten Menschen, denen wir auf der Reise begegnen, werden wir für eine Familie gehalten. Wenn wir in einem Taxi sitzen, könnte ich darauf wetten, dass der Fahrer jeden Moment fragt, ob wir eine Familie sind. Es kommt mir jedes Mal wie ein déjà vu vor. Wir sagen dann, dass wir Freunde sind. Anschliessend wird uns in den meisten Fällen entgegnet: 2Wow, ihr müsst aber gute Freunde sein! Das sind wir wirklich, denn wenn man einen Freund hat, braucht man sich vor nichts zu fürchten (Zitat aus Oh wie schön ist Panama von Janosch). Aber vielleicht haben die vielen Taxifahrer richtig beobachtet: Wir sind nicht nur Freunde, wir sind eine Familie, eine Familie auf Zeit.
In geheimen Kreisen werden wir auch Familia de Tortugas (Schildkrötenfamilie) genannt. Unsere Erkennungszeichen sind, der Pura-Vida-Pffffffft-Gruss (siehe Wortschatzerweiterung) und die kleine Schildkröte am Handgelenk. Sie symbolisiert Schutz, Lebensfreude und Zusammenhalt.
Ein kleines Beispiel: Ricky, unser Hotelier in Cahuita, hat Marcels Rollstuhl repariert. Nach der rasanten Fahrt im öffentlichen Bus, wäre fast die Rückenlehne gebrochen. Als ich ihm etwas Geld für seine Arbeit geben wollte, hat er abgelehnt. Er freue sich, wenn er meinem Vater eine Freude damit machen könne. Für ihn war es selbstverständlich, dass wir eine Familie sind. Bevor wir abgefahren sind, kam Ricki noch herbeigelaufen und rief mir zu: Ich muss mich noch von deinem Vater verabschieden!
Es ist auch schon vorgekommen, dass Beatrix auch für Marcels Mutter gehalten wird. Oh man, da hätte sie aber echt früh anfangen müssen. Diese Annahme kommt aber eher selten vor.
Es ist schon eine romantische Vorstellung, dass Eltern mit ihren beiden schon längst erwachsenen Kindern in den Urlaub fahren und dabei noch alle zusammen den Papa im Rollstuhl unterstützen. Wer wünscht sich nicht so eine harmonische Familie?
Uns ist aufgefallen, dass der Stellenwert der Familie in Mittelamerika sehr hoch zu sein scheint. Kinder leben noch sehr lange in der elterlichen Wohnung, was wahrscheinlich aber auch einen finanziellen Hintergrund hat.
Da ich sehr gerne Menschen um mich habe, ist es nicht so ein riesiges Problem für mich so viel Nähe zu spüren. D.h. ich geniesse es, um Menschen zu sein, die mir vertraut sind und denen ich nicht immer alles erklären muss. Ich finde das sehr schön, wenn man einer Person in die Augen schaut und weiss wie sie sich fühlt. Dies gibt mir das Gefühl von Vertrautheit und dass man halt die Fehler der anderen akzeptiert und auf seinen Stärken aufbaut und nicht immer seine Schwächen ausspielt.
Dies ist für mich der Inbegriff für Zusammenhalt und dies ist für mich Freundschaft. Bei einer Familie geht das Ganze noch weiter, das heisst, da nimmt man die Person wie sie ist und arrangiert sich. Denn eine Familie sucht man sich nicht aus, eine Familie hat man. Wir hingegen haben uns ausgesucht. Weil eine Freundschaft ist begrenzt, eine Familie nicht. Zu einer Familie (auf Zeit) zähle ich uns nur teilweise. In manchen Situationen denke ich auch, dass wir dies nie sein werden, für das sind wir zu unterschiedlich und auch zu eigennützig. Wir sind vier Individualisten, die sich brauchen, damit die Reise weiter läuft.
Wenn Rolli mal frech wird, hat er immer die passende Entschuldigung: Wie der Vater so der Sohn. Ich sage in meinem Fall meistens: Da kann ich nichts für, dass habe ich von Papa/Mama geerbt. oder alles Erziehungssache.
Beim Essen sind wir wahrscheinlich sogar schlimmer als eine Familie. Jeder probiert mal beim anderen. Da hat man auf einmal einen Löffel von rechts in seinem Kartoffelpüree und eine Gabel von links, die sich ein Stückchen Corvina-Fischfilet mopst, während man mit seinem bereits verwendeten Besteck Marcels Filet Mignon zerschneidet.
Aber auch unsere Kleidung wir brüderlich ausgeliehen. An heissen Tage leihe ich Beatrix, alias Schneewittchen (-> siehe Wikipediaeintrag, den es noch nicht gibt) gerne mal eine meiner luftigen Hosen. Wenn ich Marcel morgens die Socken anziehe stelle ich hin und wieder fest: Momentmal, dass sind doch meine! Dann entgegnet er meistens: Da kann ich nichts dafür, ich bin unschuldig! Und ich sage dann wieder: Das macht doch nichts, Papi, wir sind doch eine Familie! und rufe gespielt vorwurfsvoll zur Beatrix: Mama, hast du wieder meine Socken in Papas Schublade gepackt! Es kommt auch vor, wenn wir mal zwei Wochen nicht zum Wäschewaschen kommen, dass ich mir eine Unterhose von Marcel ausleihen muss. Ich solle sie aber nach dem Tragen signieren, war seine Bedingung für den Verleih seiner besten Jack Wolfskin Unterhose. Also schrieb ich auf das gute Stöck das Tagesdatum und Ich war hier (drin), Jenny.
Wir haben ja auch schon sooo viel zusammen erlebt, fast wie eine richtige Familie: Häufig werden Floskeln wie wisst ihr noch früher oder damals (vor 5 Monaten) verwendet.
Wir kennen uns schon so gut, dass wir oft schon wissen, was der andere als nächstes sagt. Machen wir beispielsweise ein Gruppenfoto mit Selbstauslöser, warte ich schon richtig auf Beatrix quietsch-quietsch (-> siehe Wortschatzerweiterung). Oder wenn sie auf ein Tier zugeht, um es zu fotografieren, folgt zu 90 Prozent: Ja sage mal, bist du aber `n netter!
Wenn wir durch eine neue Landschaft fahren, egal ob es im Urwald mit Lianen und Affen, im Nebelwald, auf einem Vulkan oder am Ozean ist, sobald es eine Erhebungen gibt und seien es nur die Brüste der netten Bedienung im Restaurant, die Marcel so schön die Hände massiert hat, warten alle auf den königlichen Ausspruch: Das sieht hier ja aus wie im Baselbiet!
Wie jede Familie haben auch wir vier einige Ausdrücke erschaffen, die typisch für unsere bonitanische Familie sind. Jedes Familienmitglied hat Begriffe eingebracht und einige sind einfach durch Situation oder Menschen, die wir getroffen haben entstanden. (siehe auch Wortschatzerweiterung)
Aber wir mussten auch erst zueinander finden, was mehrere Monate gedauert hat. Wir waren doch sehr verschieden und wenn man dann plötzlich von jetzt auf gleich rund um die Uhr sehr eng aufeinander hockt, eckt man schon hier und da mal gegeneinander. Natürlich ist es sehr schön immer nette Menschen um sich herum zu haben, aber irgendwann möchte jeder auch mal für sich sein, um einem Lagerkollaps zu entgehen. Gerade für Marcel ist das auch mal für sich sein nicht ganz so einfach.
Zitat Marcel: Für mich ist es eh immer schwer mich abzugrenzen oder für mich alleine zu sein, da ich halt immer Hilfe brauche und in Mittelamerika ist es noch viel schwieriger, da ich mich nicht alleine fortbewegen kann, da das meiste so unrollstuhlgängig ist. Wenn man zu Hause ist, dann kann man einfach in sein Zimmer gehen und sagen So sorry Leute, ich haben jetzt die Schnauze voll von euch. Das kann man hier nicht.
Jeder von uns stand schon mal vor der Frage: Machte das Ganze hier noch Sinn für mich? und hatte seine Tiefpunkte. Die Gruppe hat gelernt, damit umzugehen und die einzelnen Familienmitglieder stehen für einander ein. Ich weiss mittlerweile, dass ich mich auf meine Familie auf Zeit verlassen kann. Und das ist ein sehr schönes Gefühl, gerade, wenn man so lange und so weit weg von seiner leiblichen Familie, Lebenspartnern und guten Freunden ist.
Im Spanischen sagt man Madre de leche – Mutter aus Milch -, wenn man die nicht die leibliche, sondern eine angenommene Mutter meint. Aber ich habe eine Mutter aus Seco Herrerano (Nationalgetränk aus Panama), einen Vater aus Jack Daniels und einen Bruder aus Bier. Wer kann das schon von sich behaupten?

Gefangen im Paradies

Was mache ich hier eigentlich?
Warum lasse ich meine Lieben zu Hause so lange alleine?
Wie geht es ihnen wohl wirklich?
Was machen sie dort die ganze Zeit?
Warum dreht sich die Welt in meiner Heimat auch ohne mich?
Wie tun sie nun alleine dieselben Dinge, die wir stets gemeinsam machten?
Wie wird es wohl sein, wenn ich wieder komme?
Was ist es, das die Schönheit Mittelamerikas mit Heimweh überdeckt?
Warum werde ich müde vom Reisen?
Wie kann mich das Reisefieber wieder packen?
Was ist mit meinen Mitreisenden passiert?
Warum lachen wir nicht mehr so viel?
Wie kriegen wir Bonita nur wieder warm?
Was kann uns helfen, dass Reisetief zu überwinden?
Warum können wir nicht geniessen, was wir uns einst erträumten?
Wir kriegen, dass schon wieder hin!
Was für eine wertvolle Zeit wir hier haben, sollen wir nie vergessen!
Warum noch warten? – Einfach geniessen!

Das Teufelskleid

Es war einmal vor vielen, vielen Jahren. König Marcel von Bonitanien wurde von seinem Onkel Kurt, Herrscher von Honduras, zu einer grossen Fiesta eingeladen. Also lieb er seine Luxuskutsche mit dem schönen Namen Bonita von seinem treuen Diener Rolli startklar machen. Nur drei Tage drauf reiste König Marcel in Gefolge von Rolli, seiner Gemahlin, der Königen Beatrix mit dem schönen Kleid und der Hofnärrin Jenny ab und begab sich auf den langen, langen Weg von Bonitanien nach Honduras. Als Bonita endlich in Honduras, das Reich des grossen Kurts, einrollte, wurden die Reisenden überschwänglich von Onkel Kurt und seinen Untertanen begrüsst. Es sollte die Fiesta des Jahres zu Ehren König Marcels werden. Wunderschöne Frauen in knappen Gewändern umschmeichelten den König, alles war geschmückt. Es gab Unmengen an Baleadas (die landestypischen Maismehlfladen mit Bohnenmus und Käsecreme) zu essen. Kurt hatte wirklich keine Kosten und Mühen gescheut und DJ Ismael extra aus Panama anreisen lassen. Mit seinem Song And Party brachte er die Massen zum Beben. Ganz Honduras sang: And Party, and Party an pa an pa and Party. Es war die grösste Fiesta des Jahrhunderts, wenn nicht sogar die grösste überhaupt. Alle feierten ausgelassen und tranken Royal-Cerveza aus Fässern. Niemand bemerkte, wie sich währenddessen etwas Unheimliches zutrug. Es löste sich eine der Teufelsfranzen, die mit ein wenig Phantasie auf dem schönen Batikkleid der Königin zu erkennen waren und erwachte zum Leben. Der gemeinsame Ur-Grossvater von Marcel und Kurt hatte den ach so bösen Teufel vor 77 Jahren in den roten Stein verbannt, aus dem die Farbe für Beatrix Kleid stammte. Nun wurde der Bann gebrochen, da die Farbe und damit der Teufel zu seinem Ursprungsort zurückgekehrt waren. Der rote Teufel hatte nun mehr Kräfte denn je. Er liess die Erde beben, Felder zu Bergen auftürmen und kochendheisse Lava aus den Vulkanen spritzen. Die Bevölkerung Honduras und König Marcel und sein Gefolge wurden in Angst und Schrecken versetzt. Der mutige Diener Rolli versuchte die böse Gestallt mit Teufelszeug (siehe Wortschatzerweiterung) zu besänftigen, doch es half nichts. Honduras drohte in der roten Lava zu versinken. Alles schien aussichtslos, doch dann kam König Cello auf eine bingo-bongo (siehe Wortschatzerweiterung) Idee. Er rief seine Gemahlin herbei und bat sie seinen Mördernagel zu spitzen. Damit ging er dann auf den Teufel los. Rolli half mit den Döggelis (siehe Wortschatzerweiterung) und Jenny nahm sich die goldene Gabel des Königs zu Hand. Mit vereinten Kräften drängten sie den Teufel in eine Höhle. Als der Teufel schon am Boden lag, rief die Hofnärrin: Schnell Kurt, du musst den Teufel verwandeln, ehe er wieder zu Kräften kommt! Ich kann das aber nicht! entgegnete Kurt etwas hilflos. Doch, du musst es können, dein Ur-Grossvater konnte es doch auch! schrie Jenny. Kurt stand nur fragend da und wusste nicht mal in was der den Teufel verwünschen sollte. Verwandel ihn in den Froschkönig! Los mach schon, die rote Lava wird uns sonst bald unter sich begraben! In diesem Moment war der Hofnärrin so auf die Schnelle einfach nichts Besseres eingefallen. Keiner weiss genau, wie es Kurt geschafft hatte oder ob der Geist des weisen Ur-Grossvaters half, jedenfalls quakte wenig später ein kleiner roter Frosch mit einer schwarzen Krone in der Höhle. Die Lavaströme stoppten abrupt nur wenige Meter von ihnen entfernt. Erleichterung machte sich breit und die Bevölkerung begann zu jubeln und sprang den Helden um die Hülse, die die Zerstörung Honduras, dank ihres Schneids, verhindert hatten. Der Einzige, der sich nicht freute, war der verwunschene Teufel. Er ärgerte sich schwarz, dass es schon wieder einem Nachkommen des edlen Staldergeschlechts gelungen war, ihn zu verbannen. Der Frosch hüpfte die kühle Höhlenwand hinauf, bis er an der Decke angekommen war. Wer sich heute in eine Höhle Mittelamerikas (zum Beispiel in die im Volcan Masaya National Park in Nikaragua) wagt, kann den Teufel in Form einer Vampir-Fledermaus noch an der kühlen, feuchten Höhlendecke hängen sehen. Und wenn er nicht gestorben ist, dann wartet er dort noch heute auf den erlösenden Schluck Blut eines Adligen des Staldergeschlechts, welcher den ach so bösen Teufel wieder herauf beschwören und damit den Bann brechen kann.
Anmerkung:
Diese Gute-Nacht-Geschichte habe ich in wenigen Minuten erfunden und sie Marcel im Camino Real Hotel bei unser ersten übernachtung in Honduras erzählt. Zu Beginn wusste ich selbst nicht, wie sie enden würde. Der Präsidentschaftskandidat und Oppositionsführer von Honduras Mauricio Villeda erinnert auf einigen Abbildungen wirklich an Kurt. Wir dachten erst Kurt sei der Präsident von Honduras und wir hätten deswegen keine grösseren Probleme bei der Einführung von Bonita. Und mit etwas Phantasie ist auf Beatrix Kleid wirklich eine Teufelsfrazen zu erkennen.
Marcels Kommentar: Eine sehr kreative Geschichte mit bekannten Personen, absolut ruckfrei erzählt. Ja, es wurde mir schon etwas mulmig als der Teufel kam und ich konnte später nicht so gut einschlafen.

Costa Rica die Zweite

Nachdem wir das erste Mal etwas ungewollt und ohne unsere Bonita in Costa Rica gestrandet waren, haben wir es nun tatsächlich wieder mit unserem geliebten fahrenden Untersatz in das schöne Pura-Vida- Land geschafft.
Unser erster touristischer Anlaufpunkt war der Manuel Antonio Nationalpark. Obwohl er zu den kleinsten Nationalparks von Costa Rica gehört, zählt er schon alleine wegen seiner traumhaften Bilderbuchstrände, die zu den schönsten ganz Costa Ricas gerechnet werden, zu einem der beliebtesten und meistbesuchten Parks des Landes.
Unsere erste Aktion im Dörfchen Manuel Antonio war es, Abwasser und Scheisse in einen Hotelgulli abzulassen. Der Gärtner hatte gesagt, wir sollen an der Rezeption um Erlaubnis fragen. Die Rezeptionstante sagte, sie kann es nicht entscheiden und der Chef sei nicht da. Da Bonita schon übel riechende Blähungen und starken Harndrang hatte, sagten wir dem Gärtner einfach, wir dürften die Brühe ablassen. Wir sahen keine andere Möglichkeit und liessen einfach laufen. In Mittelamerika, was so gut wie keinen Wohnmobiltourismus hat, sind viele Dinge, die in den USA ganz selbstverständlich und ohne Probleme liefen, halt etwas anspruchsvoller für uns.
Nach einigem Suchen hatten wir einen supertollen Stellplatz auf einem Parkplatz direkt am Eingang vom Nationalpark gefunden. Uns wurden sogar eine Toilette und eine Dusche zur Verfügung gestellt. Abends haben Beatrix und ich Bauernsalat mit Spagetti und pfupfiger (siehe Wortschatzerweiterung) Tomatensosse gemacht. Am nächsten Morgen war ich mit Beatrix und Marcel auf einer kleinen Shoppingtour, wir haben Marcels Pura-Vida-Shirt und das Batikkleid für Beatrix mit den Teufelsfratzen gekauft, welchen den Anreiz für die Geschichte „Das Teufelskleid“ gab. Oh man war das heiss. Aber immerhin haben wir auf dem Weg Affen gesehen, wie sie über die Stromleitung die Strassenseite gewechselt haben. Wir buchten eine Tour mit dem Ocean King, dem grössten Katamaran Mittelamerikas. Uns wurde versichert, dass der Transport und auch das Schiff rollstuhlgängig seien. War es natürlich überhaupt nicht. Marcel: Eigentlich war ich gar nicht überrascht, weil der häufigste Satz in Mittelamerika ist Das ist kein Problem, aber wenn sie dann meinen Rollstuhl sehen und mich darin, dann machen sie sich schon ein paar Gedanken und die meisten Blicke fallen dann immer auf meine Hände. Wir wollten den ganzen Katamaranausflug schon abbrechen, als wir den komplett unrollstuhlgängigen Kleinbus sahen, der uns zum Hafen bringen sollte. Aber wir können ja nicht nur den ganzen Tag immer in Bonita sitzen und Cats and Dogs spielen.
Um Marcel an Board des Katamarans zu kriegen, musste er etwa 1,5 Meter hochgehoben werden. Aber dann war alles super. Pfupfige (siehe Wortschatzerweiterung) Musik, open bar, frisches Obst und ein kalter Hottube trugen zu unserem Wohlbefinden an Board bei. Ich habe Beatrix zum Schnorcheln überredet. Ihr erster Schnorchelausflug begann mit Lachkrämpfen, weil wir mit Flossen, Maske und Schnorchel so lustig aussahen. Im Wasser hat mir so ein Typ erst einen Seestern und später eine Seespinne auf die Hand gesetzt. Es gab auch Rutschen vom Oberdeck in den erfrischenden Pazifik. Rene und ich haben uns sogar getraut, die etwa fünf Meter vom Oberdeck ins Wasser zu springen. Anschliessend haben wir Delfine gesehen und superleckeren Fisch zum Abendessen bekommen. Leider war Marcel nur schon recht müde von dem Stress mit der Hinfahrt, der Hitze und der Shoppingtour. Doch alles in allem war es trotz Startschwierigkeiten ein richtig toller Ausflug.
Am nächsten Tag machten wir einen Ausflug in den Manuel Antonio Nationalpark. Kommentar Marcel: Also der Park war nicht rollstuhlgängig. Der Weg war mit grossen Steinen gespickt, sehr anstrengend zum Stossen geschweige denn selber fahren. Auf einer geteerten Flächen, konnte ich 4-5 Meter selbst fahren. Die Aussicht war sehr schön.
Wir mussten Marcel bei einer Affenhitze (im wahrsten Sinnen des Wortes, da wir viele Affen sahen), die zum Glück durch die Bäume etwas gedämpft wurde, circa zwei Kilometer in den Urwald hineinschieben. Bis wir an einem wunderschönen Bilderbuchstrand, der einfach nur der dritte Strand genannt wird, kamen. Marcel hat dort Die Tribute von Panem, Teil 2 gelesen und ich bin mit Beatrix gewandert und Rene war schwimmen. Für mich war es bis jetzt der schönste Nationalpark auf dieser Reise. Wir haben Kapuzineraffen, Brüllaffen und Totenkopfaffen (auch als Eichhörnchenaffen bekannt) gesehen. Das Türkis des Wassers war einfach der Hammer. Eigentlich wollten wir am Abend im Avion zu Abend essen. Das Avion ist etwas Besonderes. In einem richtigen Flugzeug zu essen und zu trinken mit Aussicht über die Bucht, schien uns spektakulär. Wir waren also sehr gespannt. Wir bestellten ein Rollstuhltaxi und waren alle sehr erwartungsvoll, was uns erwarten würde. Nach wenigen Minuten erreichte uns tatsächlich ein Taxi mit einer Rampe für Rollstuhlfahrer. Nur leider war es zu kurz für Marcel. Und alle Rollstuhlfahrer, die mitfahren wollten, mussten wie in einem Liegestuhl sitzen. Marcel: Da konnte ich nicht mitfahren. Auch wenn die Hintertür zugegangen wäre, hätte das volle Gewicht auf meiner eh schon angeknaxten Rückenlehne gehangen. Netter Ansatz, aber blöd umgesetzt. Der Traum vom Fliegen auf Erden war geplatzt. Also gingen wir zu Fuss ins Unterdorf und assen dort im Cafe del Mare am schwarz rauschenden Pazifik. Die zunächst schüchtern wirkende Bedienung hatte keine Berührungsängste und massierte Marcel die Hände mit einem Desinfektionsmittel ein.
Nachts hatten wir wieder Strom, obwohl wir die Nacht zuvor die Sicherungen des Parkplatzbesitzers Walter verschmort hatten. Wir haben einen Kurzschluss verursacht, da die Stromanlagen hier nicht auf unser Wohnmobil, das mit Klimaanlage, Marcels E-Motion-Rädern, Kühlschrank usw. bis zu 30 Amper frisst, ausgelegt sind.
Am nächsten Tag sind wir nach einem Fotostopp am Avion Richtung San Jose aufgebrochen. Immerhin Wir hatten eine schöne Scenicfahrt am Pazifik entlang. Bei der Hautstadt San Jose haben wir drei Campingplätze angefahren. Zwei standen in meinem Reiseführer und einen hatte Lydia die Zweite gefunden. Aber keiner existierte mehr. In Mittelamerika ist vieles sehr kurzlebig, wie wir auch schon zuvor mehrmals mitbekommen haben. An einem der Stellplätze prangt nun ein nagelneues Einkaufszentrum, was es in einem Jahr vielleicht auch schon nicht mehr geben wird. Dann fanden wir in einem bewachten Neubaugebiet doch noch eine übernachtungsmöglichkeit. Das lange Suchen hatte sich gelohnt, denn der Ausblick über die Lichter der Stadt war wirklich beeindruckend. Bei diesem tollen Panorama schmeckten die selbstgemachten Burritos gleich doppelt so gut.
Einen Kahlschnitt beim Friseur gab es für Marcel am nächsten Morgen, während wir seine Rollstuhlreifen an einer Tankstelle aufpumpen liessen. Die Panoramafahrt zum Volcan Irazu war wirklich spannend, besonders als wir die Wolkengrenze erreichten und wir teilweise nur noch die Bergspitzen sehen konnten. Es sah aus als würden wir auf einer Insel in den Wolken fahren und hinunter auf viele weitere Wolkeninseln blicken. Der Vulkan war sogar teilweise rollstuhlgängig. Der Weg war okay und dann konnte ich halt in so einen Krater reingucken. Und nachher noch ein Aussichtspunkt, das war‘s. Aber die Fahrt war echt schön. Schade, dass der Irazu Marcel nicht ganz überzeugen konnte, also bei mir hat er es jedenfalls geschafft. Der grüne See, einen abgeflachten Krater, in den man hineingehen konnte und dann die tolle Aussicht waren schon sehr speziell. Mit Bonita sind wir zu einem Aussichtspunkt bis auf 3432 Meter über dem Meeresspiegel gefahren. Direkt neben dem Eingang zum Nationalpark haben wir bei einer Rangerstation auf einer Wolkeninsel geschlafen. Es war echt atemberaubend, im wahrsten Sinne des Wortes, weil die Luft dort oben schon langsam dünn wurde.
Nach einer ziemlich kühlen Nacht genossen wir die schöne Fahrt hinunter und weiter nach Sarchi, die Stadt der Ochsenkarren. Wir schlenderten durch das Städtchen und besichtigten die grösste Ochsenkare der Welt, die wunderschön bemalt war. Anschliessend besuchten wir die Fabrik Eloy Alfaro, wo die Ochsenkarren gefertigt werden. Uns wurde erklärt, wie mit Hilfe von Wasserkraft und einer antiken Maschine aus Leipzig die historischen Karren gefertigt werden. Der Handwerker Enrique Viegas Molina, der uns herumführte, erklärte uns, dass es unklar sei woher die Idee und die Muster für die bunten Ochsenkarren stammten. Aber er vermute, dass sie von deutschen Einwanderern kamen und die Ticos das Kunsthandwerk noch verfeinert haben. Wir fragten Enrique, ob er uns etwas auf Bonitas Hinterteil malen könnte. Und tatsächlich, nun hat Bonita eine Arschgeweih-Tätowierung in Form eines kunstvoll verzierten Herzens mit ihrem Namen in der Mitte.
Auf der Weiterfahrt hielten wir noch kurz im hübschen Städtchen Zarcero. Ein schön verzierter Park mit Buchsbaumbögen und -figuren umschmeichelt die Kirche.
Eigentlich wollten wir noch weiter nach La Fortuna fahren, aber da es schon dümmerte, mussten wir uns ein Nachlager suchen. Die Cabinas Francescas in La Marina bei Ciudad de Quesada kamen dafür gerade recht. Nach einer mückenstrichfreien (siehe Wortschatzerweiterung) Nacht, nahm die freundliche Herbergsmutter Heylin Rene und Marcel mit zu einer Hausbesichtigung.
Anschliessend brachte uns Bonita die vom Vortag übrig gebliebenen Kilometer nach La Fortuna. Dort besichtigten wir zunächst den La Fortuna Wasserfall. Marcel konnte nur bis zum Aussichtpunkt mitkommen und dann auch nur unterhalb der mit vielen Stufen versehenden Aussichtsplattform den Wasserfall nur durch das Blattwerk erspähen. Rene und ich waren am Grund des Wasserfalls baden. Der Fall hatte enorme Kraft, so dass es uns nur begrenzt möglich war, an ihn heranzuschwimmen. Bei den wunderschönen Cabinas Catarrata mit einem Balkon in den Dschungel hinein, haben wir uns drei Tage lang ausgeruht, um wieder etwas Kraft zu tanken.
Was wäre wohl passiert, wenn der Vulkan Arsenal, der aussieht als sei er aus einem Bilderbuch entflohen, ausgebrochen wäre? Wenn uns wie in Pompeji Asche und Lava verschüttet hätte, in welcher Haltung würde man uns wohl finden? Höchstwahrscheinlich würde Beatrix gerade an Marcels Laptop sitzen und Fötelis (siehe Wortschatzerweiterung) ins Internet laden, Rene würde noch die Imperialbierflasche in seinem Skelett von Hand halten, Marcel würde mit seinen gefährlichen Döggelis (siehe Wortschatzerweiterung) und seinem Mördernagel (siehe Wortschatzerweiterung) gegen die Lavamassen ankämpfen, während meine überreste, das ganze Geschehen zu fotografieren scheinen.
Rollstuhltaxi Klappe, die Zweite: Den Rückweg von der Lava-Bar wollten wir uns die kaputte Strasse im Dunkeln ersparen. Aus diesem Grund bestellten wir ein Rollstuhltaxi. Es kam recht schnell eins, aber die Rampe war schon wieder funktionsunfähig. Nachdem wir gefühlte Ewigkeiten auf ein weiteres Rollstuhltaxi gewartet hatten, entschieden wir uns dafür, Marcel in ein normales Taxi zu heben. Es hat uns überrascht, dass der Taxifahrer uns kostenlos zurück zu den Cabinas fuhr. Es sagte, er wisse nicht, ob er morgen nicht auch im Rollstuhl sitzen würde und dass wir eine beeindruckende Familie seien (siehe Familie auf Zeit).
Am selben Abend tranken wir noch Seco Hererrano. Ich wollte etwas Verrücktes machen und habe mit Rolli ein Fotoshooting im Kühlschrank gemacht. Dann habe ich mit ihm gewettet, dass sich Beatrix auch in den Kühlschrank setzt. Rolli hat dagegen gewettet und damit gewonnen. Also musste ich eine halbe Orange vom Baum neben der Cabina wie ein Monster neben Marcels Bett essen.
Am nächsten Tag waren Beatrix und Rene in heissen Quellen baden. Ich habe die meiste Zeit vor meinem Netbook verbracht und an Reiseberichten und der Reiseplanung gearbeitet. Es war ja sooo schwer so viel streichen zu müssen, um die Zeit wenigstens annähernd wieder einzuholen, die wir durch die Probleme bei der Verschiffung verloren hatten. Marcel hat mir später geholfen und wir haben ein regelrechtes Streichkonzert veranstaltet. Der Balkon unserer mit viel Liebe gestalteten Cabina war einfach wie geschaffen zum Schreiben. Ich sass in einem Schaukelstuhl und lauschte immer wieder dem Wasserplätschern und den vielen Vögeln, darunter auch grüne Papageien und Kolibris.
Wer könnte die kleine Schweiz in Costa Rica besser beschreiben, als ein echter Schweizer. Im Folgenden beschreibt Marcel unsere Erlebnisse, die wir auf der Anlage des Hotels Los Heroes sammeln durften:
Ich war ja so gespannt auf die kleine Schweiz, in Costa Rica.
Wir fuhren nach Nuevo Arenal, es sah aus wie am Vierwaldstättersee.
Das Hotel sah aus wie ein Berner Chalet, mit viel Geschichte darauf, von Winkelried über Schlacht am Morgarten bis zum Rütlischwur.
Das Hotel war so liebevoll ausgestattet, dass ich mir das erste Mal seit langer Zeit wie in der Schweiz vorkam. Das Hotel war zwar nicht rollstuhlgängig, aber mit viel Liebe eingerichtet, die Details waren grandios (rot-weisse Tischtücher, Glocken, tolle Bilder über die Geschichte der Schweiz usw), einfach Wau!
Solche Hotels habe ich bis jetzt nur in der Schweiz gesehen
Ok. Wir sind ja nicht nur hergekommen um das Restaurant anzuschauen, sondern die Hauptattraktion ist die Bahnfahrt zum Drehrestaurant Schilthorn.
Wie gross war meine Vorfreude, mit einer Schmalspurbahn auf das Costa Rica Schilthorn zu fahren. Wie meistens in Mittelamerika, ist die Vorfreude gross und die Ernüchterung noch grösser, ich komme nicht in die Wagons. OK, d.h. umplanen, rauf will ich, dann halt mit Bonita. Stefan, der Sohn fuhr voraus. Rene und ich hinterher. Zwischendurch hielten wir an und machten Fotos von den Mädels, die mit der Dampflok unterwegs waren. Als wir oben ankamen, schlug das Wetter um. OK, its Fondue time und wir bestellten die Käsesuppe, die man mit kleinen Brotstückchen in die heisse Kässemischung tunkt. War das lecker und die Zeit zwischendurch nutzen wir um das tolle Panorama im Drehrestaurant zu geniessen.
Sie hatten extra das Gaglon hochgebracht und das Fonduegeschirr, um bei mir und Beatrix Heimatgefähle aufkommen zu lassen. Tolle Sache, tolles Essen, sie haben es geschafft. Nachdem wir den Mittagsschlaf direkt vor der Tür vom Schilthorn gemacht hatten, entschlossen wir uns, mit vollem Käsebauch runter zu fahren, um dort auf dem Parkplatz zu übernachten. Was eine gute Idee war, da wir natürlich noch ein bisschen im Restaurant Cats and Dogs spielen wollten. Am nächsten Tag assen wir noch Frühstück bei ihnen und genossen das tolle Brot. Franz backte uns dann noch zwei Brote, die leider nicht mal 24 Stunden alt wurden. Es war für mich eine tolle Sache, in die kleine Schweiz von Costa Rica zu fahren.
Mit dem frischgebackenen Brot von Franz im Gepäck fuhren wir weiter über die Schotterpiste um den Lago Arsenal. Wir wurden ganz schön durchgeschüttelt und waren froh, als wir endlich in Santa Elena ankamen und Bonita noch ganz war. Dank Rollis Charme durften wir auf dem Parkplatz einer Zahnarztpraxis übernachten. Abends spielten wir noch Cats und Dogs. Da Marcel Profi in diesem Spiel ist, gewann bis zu diesem Zeitpunkt immer sein Zweierteam.
Am nächsten Tag besuchten wir den Nebelwald Monteverde. Ein Nebelwald ist ein bestimmter Typ Wald, der in den Tropen und Subtropen vorkommt. Seinen Namen hat er, weil der Wald durch das feuchtes Klima oft in Wolken oder Nebel eingehüllt ist.
Um Bonita zu schonen, riefen wir ein Rollstuhltaxi. Marcel: Das Rollstuhltaxi war `ne Katastrophe. Der gleiche Konstruktionsfehler, wie bei dem Taxi im Manuel Antonio Nationalpark. Aber diesmal ging die Tür zu und ich hing wie in einem Liegestuhl. Jenny musste mich die ganze Fahrt über am Arm nach vorne ziehen. Ich hatte Angst, dass meine eh schon angeknackste Rückenlehne bricht. Der Rundweg im Abschnitt Santa Elena war leider nur 500 Meter rollstuhlgängig. Aber immerhin konnten wir einen kleinen Einblick in die spezielle Vegetation erhaschen. Diese 500 Meter sollten aber nicht das Einzige bleiben, was wir von dem Nebelwald Monteverde zu sehen bekommen sollten. Wir liessen uns mit dem chaotischen Rollstuhltaxi über die Holperstassen zum Trainforest kutschieren. Dort erlebten wir eine riesen überraschung. Die komplette Attraktion war rollstuhlgängig. Sogar der Weg zum Bahnhof war mit Rampen versehen. In dem kleinen Zug gab es einen Wagon, in dem Marcels Rollstuhl, ähnlich wie in Bonita, befestigt wurde. Wir fuhren mitten durch den Nebelwald bis zu einem Aussichtspunkt von dem wir noch mal den Lago Arsenal und auch den gleichnamigen Bilderbuchvulkan sehen konnten. Es war recht kühl und wir konnten uns mit Tee und La Dulce (typisches Getränk aus Zuckerrohr) etwas aufwärmen, bevor es durch den schönen mit Moos bewachsenen Wald zurück zum Ausgangspunkt ging. Für den Rückweg zur Zahnarztpraxis zogen wir ein nicht rollstuhlgängiges Taxi vor und setzten Marcel auf den Beifahrersitz.
Nach einer weiteren Holperfahrt am folgenden Tag schauten wir uns bei Canas die Tierauffangstation Las Pumas an, die von einer Schweizerin gegründet wurde. Wir übernachteten beim Hotel Capazuri, wo wir auch den Kinderpipipool benutzen durften.
Unsere letzte Sehenswürdigkeit in Costa Rica war der Santa Rosa Nationalpark, der älteste und grösste des Landes. Zunächst waren wir etwas enttäuscht, da viele Wege, wegen Ausbesserungsmassnahmen, gesperrt waren und um Vögu (siehe Wortschatzerweiterung) zu beobachten war es zu windig. Da es aber einen Campingplatz im Park gab, blieben wir dennoch. Alleine schon von unserem Quartier aus sahen wir Affen, Rehe, viele verschiedene Vögel, darunter auch wilde Truthhäne und Rene sah sogar eine kleine Tapirart. Beatrix und ich folgten einem gesperrten Indianerpfand und wanderten ein wenig durch den Park. Es hätte hier sogar asphaltierte Wege gegeben, auf denen Marcel etwas mehr vom Park hätte sehen können.
Wir hatten nach dem letzten super anstrengen Grenzübergang von Panama nach Costa Rica schon Angst vor der Grenze nach Nicaragua. Aber alles lief recht gut und nach etwa zwei Stunden war die Sache geritzt und das Abenteuer Nicaragua erwartete uns.

Halbes Jahr (Rückblick)

Ich weiss noch genau, wie ich mich gefühlt habe am 12. August, vor der Abreise.
Ist das richtig was ich mache oder einfach ein blöder Wunsch nach Selbstbestimmung oder gar egoistisch von mir, mich mit drei Menschen einzulassen, denen ich meinen Traum auferlegen will.
Die zwar schon mit mir Kontakt hatten, aber trotzdem keine Ahnung von mir haben, ich meine von Marcel, wie ich bin und lebe. Mit meinen Schwächen und Stärken. Denn wenn ich auch nur eins gelernt habe auf dieser Reise, wenn man so nahe mit anderen Menschen lebt, dann kommt dein Inneres hervor. Sei es schon nach einem Monat, aber bestimmt nach einem halben Jahr. Da kannst du dich noch so verstellen, irgendwann zeigst du es, ob du willst oder nicht. Wer zeigt schon gerne Schwächen? Irgendwann kommen sie raus, dann versteht man auch besser bei gewissen Tagesstrukturen das Verhalten dieser Person.
Die Reise fing gar nicht gut an durch die ganze Visageschichte (siehe Bericht 1 vom August 2012). Als wir dann trotzdem durch den Zoll kamen, habe ich gedacht, jetzt kann uns nichts mehr passieren, dass war aber nur der erste Stein von einem ganzen Haufen, den wir aus dem Weg schaufeln mussten. Und auch weiterhin müssen, denn Reisen ist nicht nur sun, fun and nothing to do. Es steckt sehr viel mehr dahinter.
Dann kam der Umbau von Bonita, da ich nicht transferieren konnte vom Rollstuhl ins Bett. Wir, d.h. Kurt riss die Dusche hinaus und montierte ein Elektrobett hinein. Was absolut das Beste war, was uns passieren konnte. Die ganze Geschichte nahm 2 Wochen in Anspruch.
Was mich aber am meisten überrascht hat, sind die zwischenmenschlichen Probleme, die uns tagtäglich über den Weg laufen. Dies war in den ersten 6 Monaten die grösste Herausforderung, was mich zum Teil schon sehr zermürbte und ich mich fragte, wieso tue ich mir das an
Unterdessen weiss ich es. Das ist mein Weg, um den Menschen Mut zu machen, denen wir begegnen. Nun weiss ich, dass man sehr viel erreichen kann, auch wenn man körperlich eingeschränkt ist und für die kleinste Hilfestellung jemanden braucht. Die interessantesten Erfahrungen machte ich bis jetzt in Mittelamerika. Dort begegneten mir die Menschen mit sehr viel Zurückhaltung, aber gleichzeitig mit sehr viel Offenheit. Kein Wunder ich bin mit grösster Wahrscheinlichkeit der erste Tetraplegiker den sie sehen. Dafür wollen mich die Kinder immer anfassen, ich denke um zu schauen, ob ich echt bin. Dann weiss ich wieder wieso ich die Reise mache, wenn in gewissen Momenten nicht für mich, dann sicher für die Menschen, die durch mich neuen Lebensmut schöpfen und so wieder ein Licht am Horizont sehen. Mein wichtigstes Fazit des halben Jahres: Geniesse die Zeit, die du hast und trauere nicht der Zeit nach, die du nicht hast

März 2013

Alle kennen René

Marcel: „Da René ja einer meiner besten Reiseassistenten ist, bin ich mit ihm schon viel gereist. Als wir gemeinsam in Berlin vorm Bundestag standen, winkt uns doch tatsächlich die Merkel zu und ruft aus einem Fenster. „Ey René wie geht’s? Was machst du denn hier?“.
Als wir gerade in den USA gelandet sind, klopft René so ein Mann auf die Schulter und unterhält sich begeistert mit ihm. Und ich denke mir, irgendwoher kenne ich doch diesen Herren, der von Securitys umringt ist. Als ich dann auf den Bildschirm schaue auf dem gerade die CNN-News aus Atlanta übertragen werden, wird mir einiges klar. Das ist doch tatsächlich der Obama … auf du und du mit René. Bei einer anderen Reise bin ich dann mit René nach Rom gefahren. Dann hat er mich doch tatsächlich auf dem Petersplatz stehen lassen, weil er kurz rauf zum Papst wollte und die vielen Stufen hätte er mich alleine ohne die Hilfe von Beatrix und Jenny nicht tragen können. Etwa eine halbe Stunde nachdem sich René auf den Weg gemacht hat, winkt er mit schon neben dem Papst stehend zu. Die Massen sind am ausrasten. Als René noch ein Bierchen mit dem Papst getrunken hatte, kam er wieder runter zu mir. Doch mich hat es in der Zwischenzeit vor Ohnmacht aus dem Rollstuhl gerissen. René setzt mich wieder in den Rollstuhl und fragt: „Was war denn los, Marcel?“ Darauf antworte ich: „Dass dich die Merkel, Obama und sogar der Papst kennen, hat mich schon erstaunt, aber als ich gehört habe was der Japaner hinter mir gesagt hat, als du dort oben neben dem Papst standest, dass war einfach zu viel für mich.“ „Was hat er denn gesagt?“ – „Wer ist denn der alte Mann dort oben neben René?“

Diesen Witz hat uns Marcel erzählt, weil es wirklich so ist, dass alle René kennen. Gerade in Mittelamerika scheint er bekannt wie ein bunter Hund zu sein. Es kommt nicht selten vor, dass uns Menschen von der anderen Straßenseite zuwinken und „Hola René!“ rufen. Wenn ich mich mal irgendwo mit jemandem über unsere Reise unterhalten, wird mir oft entgegnet: „Die Geschichte kenne ich schon. Du bist mit René unterwegs, stimmt`s?“
Als wir auf der Autofähre von der Isla de Ometepe zurück ans Festland über den Nicaraguasee  fuhren, musste Marcel Naseputzen und es war gerade keiner von uns vor Ort. Marcel hat einfach einen Schiffsjungen gefragt, wo René ist. Der entgegnete „Ahh René“ und hat ihn sogleich geholt. Wenn wir unsere Kleidung von der Wäscherei abholen, müssen wir nur „René“ sagen und bekommen meist mehrere Beutel mit unser wieder frisch duftenden Wäsche  in die Arme gedrückt. In Lanquín in Guatemala bei den El Retiro Lodges wollte ich die Runde Getränke gleich an der Bar bezahlen. Aber das brauchte ich nicht, weil ich mit René dort war und er schien wohl der Einzige zu sein, der dort anschreiben lassen durfte. In Mexiko werden am Gründonnerstag viele Menschen bei einer Versammlung vor der Kirche in Umán von über 1000 Leuten versuchen, unserem Rolli die Hand zu geben. Eine ältere, gebrechliche Frau wird ihm um den Hals fallen. Also seid gespannt auf die weiteren Geschichten. Es ist schon eine große Ehre für uns mit einer solchen Berühmtheit reisen zu dürfen. Eigentlich ist es egal wohin wir kommen: Alle kennen René.

April 2013

Ode an die Hängematte

Aus Leinen doppelt gewebt
Mit stabilen Seilen verzurrt
Zwischen zwei Palmen am weissen Strand
Ist dein Lieblingsort
Von deiner Schönheit gebannt
Wie herrlich, wenn man in dir schwebt

Wo kommst du her?
Welche Mayafrau hat dich hergestellt?
Stammst du aus einer staubigen Fabrik?
Oder brachten dich unschuldige Kinderhände zur Welt?
Damit ihren Familien Grundnahrung blieb
Träumen am Karibischen Meer

Wie ein Baby in den Schlaf gewiegt.
Nach der dritten Nacht wird‘s richtig bequem,
Man suche zunächst eine geeignete Position
Streichelnder Windhauch, wie angenehm
Gute Nacht, bald schlaf ich schon
Geliebte Hamaca, schön dass es dich gibt

Frusty Sorgenpferd

Hey Leute, mein Name ist Frusty, Frusty Sorgenpferd. Ich wurde in San Cristobal de las Casas (Mexiko) Anfang 2013 geboren. Gezeugt aus Holzlatten, Wolle und rotem Filz. Für nur 15 Pesos (etwa 1,30 Euro) wurde ich auf dem Plaza 31 de Marzo total unter Wert verkauft. Hier nahm ich Abschied von meinen Filzbrüdern und Schwestern und auch von meiner Schöpferin, der kleinen Mayafrau mit den hübschen dunklen Augen und langen schwarzen Haaren.
Seit dem 03.April 2013 bin ich der fünfte offizielle Staatsbürger Bonitaniens.
Nur für den Fall, dass deine Glubscher nicht mehr so gut sehen: Ich bin ein Sorgenpferd mit weissen Streifen. Nein, ich bin KEIN ZEBRA im Pyjama, auch wenn es vielleicht bei einem ungünstigen Lichteinfall, den Anschein haben könnte. So, dann wäre das mal klargestellt!
Ich liebe das Abenteuer und es macht mir riesigen Spass in der Bonita herum zu düsen. Zu Beginn hatte ich Schwierigkeiten mich in die Gruppe einzufügen. Die Bonitanier hatten wohl anfänglich Angst, sie würden für kindisch gehalten, wenn sie sich mit mir abgeben. So ist das leider bei den meistens Menschentieren. Sie haben vergessen, wie wichtig das Zuhören ist. Für sie zählen bloss grosse Reden und ganz viel Laber-Rhabarber. Die haben oft `ne grosse Klappe, wo ganz viel Erwachsenengerede herauskommt, aber nichts dahinter. Auch wenn ich meistens ein langes Gesicht mache, wie das halt bei Pferden so üblich ist, habe ich keine schlechte Laune oder bin traurig. Nur weil ich ein Sorgenpferd bin, heisst dass nicht, dass ich ganz viele Sorgen habe. Im Gegenteil, ich habe die Gabe die Sorgen der Menschen aufzunehmen, denn die schöne Mayafrau hat mir sehr grosse Ohren geschenkt. Sprechen kann ich leider nicht, mein Mund wurde aus Versehen mit dem weissen Wollfaden zugenäht. Aber das ist nicht so schlimm. über meine grossen, roten Ohren nehme ich die vielen Sorgen der Menschen auf und furze sie dann in den Wind, der sie dann weit weg vom ehemaligen Sorgenträger bringt. Wir, also mein grosser Freund der Wind und ich, sind ein eingespieltes Team. Also falls du auch ein paar Sorgen über hast, die du nicht mehr brauchst, her damit! Sorgenpferde ernähren sich nicht etwa von Stroh. Das piekt und kratzt doch viel zu sehr und ausserdem wie soll ich das Zeug auch zu mir nehmen ohne den Mund zu öffnen? Wir essen für unser Leben gerne Sorgen, bevorzugt die der Menschentiere. Das Gute daran ist, wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir je Hunger erleiden müssen.
Mittlerweile haben mir die Bonitanier schon viele Sorgen anvertraut, die ich dann alle verdaut und fröhlich in den Wind gepupst habe. Aus Dankbarkeit schenkten sie mir sogar meine eigene kleine, blaue Hängematte aus Sisal. Während der Fahrt werde ich natürlich angeschnallt, damit ich nicht herausfalle. Diese Schaukelpartien sind das Grösste für mich.
Ich habe etwas Bedenken, vor dem Assistentenwechsel von Beatrix zu Erdmut und ich hoffe, dass das einigermassen gut läuft. Immerhin hat dieses Team nun fast 8 Monate so eng miteinander gelebt. Die Bonitanier haben gerade jetzt viele Sorgen, aber dafür hat uns das Schicksal schliesslich zusammen gefährt. Ich wünsche mir, dass die Bonitanier und alle Menschentiere da draussen viel von mir und meinen Kollegen lernen. Ich bin stolz ein echter Bonitanier zu sein und freue mich auf eine tolle und spannende Weiterreise.
Mai 2013
– Nachtrag aus Guatemala –
Gespräch mit einem wichtigen Kriegszeugen
Bei unserer Fahrt durch das Hinterland Guatemalas trafen wir in der Provinz El Quiche in Uspantan Alfonso Rivera Orrego. Der ältere Mann mit den traurigen Augen und den zittrigen Händen hat den Bürgerkrieg in Guatemala hautnah miterlebt. Im Dezember 2012 hat er sein Buch Uspantan su historia fertiggestellt, welches er nun im Selbstverlag vertreibt. In dem Werk berichtet er über Uspantan von der Gründung bis heute und davon kann man die Geschichte Guatemalas ableiten. Seine persönlichen Erfahrungen während des Bürgerkrieges (1960-1996) hat er nicht mit aufgenommen. Ausserdem verzichtete Alfonso auf bestimmte bewaffnete überfälle, aus Angst vor Verfolgung. Es seien schon viele Schriftsteller, die sich falsch geäussert hätten verschwunden.
Rene hat seine Examensarbeit über sogenannte Testimonialliteratur geschrieben, d.h. Augenzeugenberichte, die gelebte Geschichte eines Einzelnen als Spiegelbild eines Kollektivs gegen das Vergessen wiedergeben. Eine davon war die Geschichte der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu Tum, die 1959 in dem kleinen Bergdorf Chimel unweit von Uspantan geboren wurde. Aus diesem persönlichen Interesse hatte sich Rene erkundigt, ob es in Uspatan irgendwelche Denkmäler, Museen oder dergleichen von ihr gäbe. Er wurde auf Alfonso Rivera Orrego aufmerksam gemacht, der gerne bereit war, seine Vergangenheit mit Interessierten zu teilen. Auf gut Glück fuhren wir zu seinem Haus, das wir nach einigem Nachfragen auch fanden. Alfonso schien in Uspantan bekannt wie ein bunter Hund zu sein, genau wie Rene, den scheinbar auch alle Welt kennt (siehe Alle kennen Rene). Und tatsächlich war uns das Glück hold. Alfonso war zu Hause und bat uns sogleich hinein. Der ältere Mann, der schon merklich an Parkinson zu leiden schien, erzählte uns Folgendes:
Sein Dorf hat viele Geschichten zu erzählen, jedoch sei er der Einzige, der sich für diese interessiere. Der Konflikt, der letztendlich zum 36-jährigen Krieg führte, war ein nationaler, aber Uspantan spielte dabei eine ausschlaggebende Rolle.
Alfonso kennt Rigoberta Menchu Tum persönlich. Sie sei zwei Jahre in Uspantan in ein von Nonnen gefährtes Internat der belgischen Vereinigung Sagrada Familia gegangen. Dort ist sie auch mit der für sie richtungsweisenden Befreiungstheologie in Berghrung gekommen, die besagt, dass man nicht nur im Himmel, sondern auch schon auf Erden glücklich sein sollte. Rigoberta legte bei Elisabeth Burgos, einer franzäsischen Anthropologin, Zeugnis ab über ihre Erlebnisse während des Bürgerkrieges in Guatemala. Ihre Geschichte steht stellvertretend für die vieler Guatemalteken und so wollte die doppelte Autorenschaft Menchu/Burgos das testimonio auch verstanden wissen. Daraus entstand das Buch Yo, Rigoberta Menchu (1983), dt. übersetzung Leben in Guatemala (1984).
Wer Menchus Lebensgeschichte verstehen will, müsse die Geschichte ihres Vaters und seines Umfeldes kennen, berichtet uns Alfonso. Während uns seine Frau Orangensaft bringt, führt Alfonso, (kaum Zeit für die übersetzungen von Rene lassend), fort. Vor Kriegsbeginn seien viele Guatemalteken aus der zerklüfteten Bergregion Alta Verapaz in sein Dorf gekommen, da sie hier auf bessere Versorgung mit Lebensmitteln und die Möglichkeit auf Land zum Anbau hofften. Rigobertas Vater Vicente war ein normaler Bauer, der bloss seine Parzelle Land für den Maisanbau wollte. Es war zu der Zeit, als Grossgrundbesitzer mit Hilfe des Militärs begannen, den indigenas das Land streitig zu machen. Später war das ganze Land auf nur etwa 30 Grossgrundbesitzer verteilt worden und den übrigen fehlte es am Nötigsten. Vicente gründete daraufhin 1977 die erste Bauerngenossenschaft Guatemalas CUC (Comite de Unidad Campesina, dt.: Komitee für Bauerneinheit). In den folgenden Jahren gab es einen grausamen Kampfe des Militärs gegen die Guatemalteken, besonders gegen jene in deren Adern Mayablut fliesst. Vicente war Sprecher für 51 Familien und versuchte, an die Anbaurechte für etwa 100 Hektar Land zu gelangen, um das überleben dieser Familien zu sichern. Die Bauern wollten eine Agrarreform mit friedlichen Mitteln, wie Demos und Kundgebungen erlangen. Es gab sogar schon einmal Landreformen unter den Präsidenten Juan Jose Arevalo und Jacobo Arbenz von 1944 bis 1954, jedoch nach dem Sturz von Arbenz durch den CIA (Central Intelligence Agency), dem zivilem Geheimdienst der Vereinigten Staaten, wurden diese weitgehend rückgängig gemacht. Kräfte, die sich vom Militär abgespalten hatten, statteten die Bauern mit Waffen aus. 1963 ist es dann zum ersten bewaffneten Aufstand der Bauern gekommen. Soviel erstmal zur Vorgeschichte.
Alfonsos folgende Erzählungen seiner persönlichen Erfahrungen beziehen sich hauptsächlich auf die Zeitspanne von 1979-1984 und auf die Regionen um Uspantan. Er war zu der Zeit Sekretär und Gehilfe des Bürgermeisters von Uspantan. Im Januar 1980 kam Vicente Menchu in sein Büro mit einer Bittschrift für das überlebenswichtige Land der 51 Bauernfamilien. Die Bauern hatten bereits das Land bestellt, aber es fehlten ihnen noch die offiziellen Dokumente dafür. Dieses Anliegen ging über die Kompetenzen der Gemeinden hinaus und Vicente Menchu wurde an die spanische Botschaft in Guatemala Stadt weiter verwiesen. Nachdem Vicente dort vorgesprochen hatte, landete doch tatsächlich am 14.01.1980 ein Hubschrauber auf dem Fussballplatz, der sich noch heute direkt gegenüber von Alfonsos Haus befindet. Die ersehnten Titel für die Parzellen wurden dem Bürgermeister überreicht. Anschliessend fuhr Alfonso mit dem Bergermeister, in Begleitung vom Militär, nach Chimel zu Vicente, um die Titel für die 100 ha Land zu übergeben. Nachdem dies geschehen war, kam Vicente auf den Bergermeister zu und bat darum, das Militär möge nun auch ihn und die anderen Bauern in Ruhe ihr Land bewirtschaften lassen. Der Bürgermeister brachte es nicht fertig, die Bitte an das Militär weiterzugeben, also übernahm Alfonso diese Aufgabe. Das Militär entgegnete ihm nur, dass sie die Häuser der Bauern anzünden würden. Tatsächlich brannten vier Häuser der Bauern in den folgenden Tagen nieder. Am 20.01.1980 kam ein Mitglied der spanischen Botschaft nach Uspantan und vereinbarte eine Konferenz für den 31. Januar in der Botschaft in Guatemala Stadt. Es sollte unter anderem über die Forderung der Titel für das Land der Bauern gesprochen werden. Am 29.01.1980 reiste Vicente Menchu mit 38 weiteren Bauern nach Guatemala Stadt. Der ganze Prozess hatte für grosses Aufsehen gesorgt und stand stellvertretend für viele weitere Unzufriedenheiten der Bevölkerung Guatemalas. Mehrere Studentengruppen und andere Rebellen, die gegen ein durch die Armee verübtes Massaker im Bezirk El Quich protestieren wollten, begleiteten die Bauern. Am 31.01.1980 während der Konferenz wurde die spanische Botschaft in Guatemala Stadt angezündet. Es ist unklar, ob die Brandstiftung von den Rebellen wegen der aufgeheizten Stimmung oder von der Regierung selbst ausging. Vicente Menchu und 38 weitere Menschen fanden an diesem Tag in der Botschaft den Tod. Dieses Ereignis wurde vom Militär zum Anlass genommen, in der Folgezeit hörter und grausamer gegen die Bauern vorzugehen, so Alfonso.
Die folgenden drei Kriegsmonate waren grausam und von Gewalt beherrscht. Am 29. April 1980 wurde das Haus der Orregos vom Militär angezündet. Danach ist auch Alfonso, wie viele Asylsuchende, nach Mexico geflohen. Nach 18 Monaten Exil kehrte Alfonso wieder zurück nach Uspantan und nahm seine vorherige Anstellung als Bürgermeistergehilfe wieder auf.
Im März 1982 kam der Diktator Efrain Rios Montt durch einen Putsch an die Macht. Unter seiner Herrschaft wurden viele tausend Menschen ermordet. Etwa die Hälfte der von Militärs und Paramilitärs während der 36 Kriegsjahre verübten Massaker fiel in die Herrschaftszeit Montts, obwohl er schon im August 1983 von rivalisierenden Militärs wegen Unzurechnungsfähigkeit abgesetzt wurde. Damals bildeten sich auch unterschiedliche ideologische Gruppen. Uspantan war unter anderem wegen der bergigen Lage Zufluchtsort für die Guerilla (Guerilla heisst wörtlich Kleinkrieg. Der Begriff steht auch für militärische beziehungsweise paramilitärische Einheiten, die einen Guerillakrieg führen. In diesem Zusammenhang geht es um die Untergrundkämpfer in Lateinamerika.).
Zu dieser Zeit gab es unter den Guatemalteken zwei Gruppen: Das Militär und die Guerilla. Alfonso erklärte: Entweder war man für das Militär oder dagegen und somit bei der Guerilla. Dazwischen gab es nicht wirklich etwas.
Meinungsfreiheit war damals ein Fremdwort. Durch den Geheimdienst in Guatemala musste man überall Flüsterer vermuten. Diese Zeit war durch ein grosses Verschwinden gekennzeichnet. Wer etwas Falsches sagte, verschwand oft nachts und tauchte niemals wieder auf. Es gab Massaker im Februar 82. In einem Dorf etwa vier Kilometer von Uspantan entfernt, wurden 53 Menschen getötet. Alfonso kam etwa 40 Minuten spüter in das besagte Dorf. Was er dort sah war traumatisierend. überall lagen tote Menschen in Blutlachen, vielen wurde die Kehle durchgeschnitten. An folgende Szene muss Alfonso heute noch manchmal mit Schrecken zurück denken: Ein kleiner Junge, so um die drei Jahre, saugte an der Brust seiner toten Mutter, die entsetzlich zugerichtet war. Zur Verdeutlichung, gestikulierte Alfonso eindrücklich und nahm teilweise sein Telefon zur Hand, um eine Schusswaffe oder ein Messer, welches eine Kehle durchtrennt, zu imitieren. Wenn ich dem alten Mann mit den dunklen Augen, die zu viel gesehen hatten, zuhörte, bekam ich (auch ohne der spanischen Sprache mächtig zu sein) eine Gänsehaut. Wir fragten Alfonso, welches Motiv das Militär für dieses grausame Morden hatte. Er erwiderte: Es gibt dafür keine Erklärungen. Die grossen Zweifel der Geschichte sind unergründlich. Er verglich die Geschehnisse mit denen, die in Deutschland im Dritten Reich passierten, als Hitler an der Macht war. Und tatsächlich, wenn man mal genauer darüber nachdenkt, gibt es viele Parallelen. Ganz oberflächlich betrachtet, waren die Juden im deutschen Reich die Indianer in Guatemala. Es ging in beiden Ländern um Macht, Geld, überstülpen von Werten und Ausbeutung der unteren Schichten bzw. bestimmter Gruppen, damit die Oberschicht noch mehr hat.
Die meiste Gewalt in Guatemala ging gegen die indigene Bevölkerung und gerade die war sehr viel im Militär vertreten. Das sei alles sehr kompliziert, unverständlich und stelle ein Paradoxon dar, versuchte uns Alfonso zu erklären. Um es zu verdeutlichen gab er folgendes Beispiel: In einer Nacht bekämpften sich zwei Gruppen des Militärs, weil sie sich gegenseitig für Guerilla hielten. Es gab viele Tote. Es gäbe drei Dörfer in den Bergen um Uspantan, in denen die Hälfte der Bewohner gemeuchelt worden war. In den Bergen hielt sich auch die Guerilla versteckt. Die Menschen die ins Exil nach Mexiko gingen, seien Flüchtlinge gewesen und meist keine Anhänger der Guerilla.
In den letzten Tagen des Jahres 1982 sollen sich die Grausamkeiten sogar noch gesteigert haben. Vor dem Hintergrund der bewaffneten Kämpfe zwischen Militär und Guerillas sah Uspantan Gräueltaten, die es noch nie zuvor in diesem Ausmass zu Gesicht bekommen hatte, so Alfonso. Auf diese Vorfälle möchte er allerdings nicht genauer eingehen. Wahrscheinlich hat er immer noch Angst vor Verfolgung. Stattdessen widerholte der aufgeregt erzählende Mann wie kompliziert Guatemala sei und wie schwer es zu verstehen sei, was hier vorgefallen ist und auch noch teilweise vorfällt. Dem Guatemaltekischen Bürgerkrieg fielen 150.000 bis 250.000 Menschen zum Opfer, darunter waren hauptsächlich einfache indigene Bürger, die bei Massakern der Armee oder rechter paramilitärischer Truppen umkamen. Der Krieg wurde offiziell mit der Unterzeichnung der Friedensverträge durch die URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca, dt. Guatemaltekische Nationale Revolutionäre Einheit) und mit dem guatemaltekischen Militär beendet. 1996 endete der Krieg also zumindest auf dem Papier. Doch viele in dem Vertrag festgehaltene Punkte wurden bis heute nicht erfüllt. Beispielsweise sollten die Kinder der Mayafamilien in der Schule auch in ihrer jeweiligen Mayasprache unterrichtet  werden, was bis heute, 17 Jahre nach Kriegsende, nicht, bzw. unzulänglich geschehen sei. Zumindest soll es viel internationale Unterstützung gegeben haben. Aber Guatemala leide nach wie vor sehr stark unter Korruption. Als Durchgangsland für den Drogenhandel, unter anderem von Kolumbien in die Vereinigten Staaten, fliesst viel Bestechungsgeld. Die Dealer bringen sich nicht selten gegenseitig um und teilweise werden unschuldige Zivilisten damit hineingezogen. Auch Schutzgelderpressung sei an der Tagesordnung. Die Polizei verdiene so wenig (teilweise unter 300 Euro im Monat), davon könne man nur Transport und Lebensmittel bezahlen. Die Leute, die Geld haben und ihre Ziele durchsetzen wollen, wissen dies ganz genau. Du kommst auf keinen grünen Zweig, wenn du dich nicht illegal betätigst, übersetzte uns Rene die Worte Alfonsos. Es gehe sogar so weit, dass Personen bestochen werden, eine bestimmte Partei zu wählen.
Es ist kaum vorstellbar, dass in dem Land, das sich für uns von der Sonnenseite präsentierte, solche Dinge täglich passieren. Ich hatte zwar davon gehört, fühlte mich aber schon vom ersten Tag an in Guatemala wohl und sicher. Die dramatisch schönen Landschaften und Seen (wie z.B. der Atitlansee), die historischen Städte (z.B. Antigua) und die Herzlichkeit der Bewohner rissen mich in den Bann und lieben mein Travelerherz höher schlagen.
Alfonso ermunterte uns, noch Fragen zu stellen. Rene hatte uns schon zuvor auf die kritischen Stimmen gegen Rigoberta Menchu Tums Testimonio aufmerksam gemacht und Alfonso hatte seine Bedenken diesbezüglich bei seinen Erzählungen auch immer wieder anklingen lassen. Also liess ich Rene Alfonso nach seiner persönlichen Meinung zu diesem Thema fragen: 1980 sei Rigoberta von Guatemala Stadt nach Mexiko ins Exil geflohen und habe vieles, von dem sie später berichtet hat, nicht selbst erlebt. Der springende Punkt ist, sie war in der entscheidenden Phase nicht da, kritisiert Alfonso. Ihr Schicksal steht stellvertretend für viele andere Maya, aber sie schreibt immer nur von sich und benutzt immer die Worte ich, ich, ich. Aber immerhin habe Menchu mit ihrer Berichterstattung die Probleme Guatemalas in die Weltöffentlichkeit gerückt. Trotzdem habe sich nicht viel im Land verändert. Alfonso hatte Rigoberta Menchu Tum persönlich interviewt nachdem sie den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Jetzt sei sie eine Weltbürgerin und ihre Interessen gelten anderen Ländern Asiens und Afrikas. Aber sie hat dabei ihr Heimatland und uns alle hier vergessen, bemängelte Alfonso. Es sei eine strategische Entscheidung gewesen, Menchu den Friedensnobelpreis genau 1992 (am 500. Jahrestags der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus) zu verleihen.
Zum Abschluss betonte Alfonso: Es gibt trotz allen übels auch viele guten Seiten an Guatemala. Der grösste Reichtum des Landes liegt in den unterschiedlichen Kulturen und ich bin stolz darauf, ein Teil davon zu sein.Aus diesem Grund organisiert Alfonso, der selbst Mayavorfahren aufweisen kann, regelmässig kulturelle Veranstaltungen.
Nachdem uns Alfonso all dies erzählt hatte, schenkte er Rene eine Ausgabe seines neusten Buches (leider nur in Spanisch). Gemeinsam mit Alfonso und seinem fünfjährigen Enkelsohn Leonel Alejandro fuhren wir noch mit Bonita zum Hauptplatz Uspantans, um uns die von ihm gefertigten Steintafeln mit Mayazeichen anzusehen. Auf dem Platz neben der Kirche mit der kleinen Bühne, die wie eine Riesenmuschel gestaltet war, trafen sich zu dem Zeitpunkt gerade viele Menschen der umliegenden Dörfer und gedachten den Kriegsopfern ihrer Familien. Einige trugen grosse Bilder der Getöteten mit sich. Auf der Muschelbühne wurden Vorträge gehalten, die ich leider nicht verstehen konnte. Anschliessend luden wir Alfonso und Alejandro zum Mittagessen ein. Alfonso war begeistert von Marcel, dass er trotz seiner Behinderung solche grossen Reisen unternimmt. Es gebe ihm sehr viel Kraft, Marcel kennenlernen zu dürfen. Er bewundert seinen Mut und dass er sich von scheinbar nichts aufhalten lässt. Nachdenklich und überwältigt von Alfonsos Erzählungen und der ganzen Atmosphäre verliessen wir am Nachmittag Uspantan.
Mit meinem Bericht erhebe ich keinen Anspruch auf Richtigkeit. Ich habe mich bemüht die Erzählungen von Alfonso Rivera Orrego so getreu wie möglich wiederzugeben, was durch die Sprachbarriere, trotz Dolmetschens von Rene, zusätzlich erschwert wurde.-